Rosalías neues Album Lux maßt sich an, eines der wichtigsten Alben des Jahres zu sein und schafft es. Das Ergebnis: maximalistisch, neuartig und transzendent.
Die Transformation der Rosalía ist eine der spannendsten in der Pop-Welt, die man in den letzten Jahren beobachten konnte. Während sie mit ihrem Debüt noch als Geheimtipp der Kritiker:innen galt, der intimen, traditionellen Flamenco in die 2010er brachte, wurde sie bald zu einer zunehmend einzigartigen Persona. Ihr musikalischer Stil wurde moderner, Rosalía wurde omnipräsenter und mit ihrem letzten Album Motomami sprengte sie die Vorstellungen dessen, was Reggaeton und Latin Pop sein sollten.
Und dann kam Berghain
Als die erste Single des neuen Albums Anfang letzter Woche erschien, war direkt wieder alles anders. Ein radikaler Sound-Shift, hin zu dramatischen Kirchenchören und einem rasenden Orchester, zu einer unvorhersehbaren Songstruktur und deutschen Texten; obendrein noch Björk und Yves Tumor. Mit so einem Song hätte niemand gerechnet. Berghain wirkte wie eine sehr ungewöhnliche Single, alles andere als ein Pop-Hit – dabei ist es eine absolut perfekte Single: Sie schockiert, sie berührt, sie schürt Hype und gibt doch einen zusammenfassenden Vorgeschmack darauf, was man vom Album Lux erwarten kann – auch wenn man sich nach so einem Song eigentlich gar nicht mehr zutraute, irgendwelche Erwartungen aufzustellen.
Nun ist Lux da und, siehe da, Berghain ist tatsächlich repräsentativ für einige Kernelemente des Albums – die sind, kurz zusammengefasst: Ausmaß, Sakralität und Formlosigkeit. Mit diesen drei Orientierungspunkten kann man sich gut durch die Beschreibung von Lux leiten.
Maximalistisches Ausmaß
Zunächst: Ausmaß, das soll heißen: So groß, aufsehenerregend und dramatisch, wie Berghain war, so ambitioniert ist Lux. Es ist ein kulturelles Event. Ein Werk, das sich klar als das Album des Jahres zementieren will, etwas Neues erschaffen will. Keine einfache Aufgabe, aber dass Rosalía etwas Besonderes hinbekommen hat, zeigt schon der erste Hördurchgang, auch wenn man da noch bei weitem nicht alles mitnimmt, was es hier zu entdecken gibt.
Gegenüber Zane Lowe von Apple Music beschrieb Rosalía ihren Vorgänger Motomami als minimalistisch – wobei ihr bestimmt direkt wenige zustimmen würden. Aber erstmal ausreden lassen: und zwar weil Lux maximalistisch sei. Das wiederum unterschreibt man eindeutig. Rosalía fährt riesige orchestrale Arrangements auf, engagiert Promis wie Björk oder Guy-Manuel de Homem-Christo von Daft Punk, singt in dreizehn verschiedenen Sprachen.
Wiederum sind viele Momente auch sehr reduziert, aus nur Gesang und Klavier mit ein paar Streicherakzenten bestehend. Wenn sich diese dann zu einem großen Crescendo aufbauen, unterstreicht vor allem der Kontrast das maximalistische Ausmaß von Lux.
Sakrale Reise zu Gott
Ebenfalls ambitioniert ist das Konzept von Lux und damit der nächste Punkt: Sakralität. Nicht nur die Instrumentals klingen durch ihre Chöre und klassischen Streicher sehr kirchlich, auch thematisch wird es religiös. Der erste Track etwa stellt das Irdische (die titelgebenden Dinge „Sex, Gewalt und Autoreifen“) dem Spirituellen (Gott und dem Himmel) gegenüber. Rosalía stellt sich die Frage, wie man von einer der Welten in die andere übergeht, wie man als Mensch göttlich wird und umgekehrt. Lux sucht die Transzendenz.
Passend zu dieser Gegenüberstellung zweier Welten beginnt der Song mit klassischem Klavier und Streichern, deren barocke Natur bald durch verzerrte Synth-Bässe gebrochen wird. Sanftes trifft auf Hartes, Klassik trifft auf das Jahr 2025. In Songs wie Porcelana verbindet sich das; es klingt, als sei ein Cello in der Produktion so verfremdet worden, dass es wie ein Synthesizer klingen soll.
Formlos, abstrakt und dennoch einprägsam
Die sich austobende Produktion leitet zum letzten Punkt, Formlosigkeit, über. Rosalía hat oft Regeln gebrochen, aber so frei wie hier frönte sie dem Art Pop noch nie. Es wirkt, als würde kein Song durchgehend bei einem Tempo bleiben. Stattdessen nehmen die Songs sich Pausen, werden plötzlich langsam; die Instrumente liefern Einwürfe, die weniger melodisch, sondern eher untermalend sind.
Als De Madrugá beginnt, denkt man: „Ach, nun, nachdem das halbe Album vorbei ist, kommt zum ersten Mal wieder ein Reggaeton-Song, wie man ihn von Rosalía kennt!“ Aber auch dieser nimmt viele Wendungen, bleibt nur kurz, und ist dennoch verdammt catchy.
Denn Lux ist nicht komplett abstrakt. Melodien bleiben im Kopf, es bedarf nur einigen Durchgängen um zu erkennen, wie viele Pop-Momente sich doch hier finden. Die Ballade Sauvignon Blanc wirkt sogar ziemlich simpel und reduziert, was gut zur Botschaft des Songs passt: der Wunsch, sich allem Materiellen zu entziehen und nur von der Liebe zu leben.
Gegen den Zeitgeist
Leicht verdaulich und einfach zu durchblicken ist Lux also nicht. Die Ästhetik im Sound und die Wucht des Projekts ist aber etwas, das direkt beim ersten Kontakt hängenbleibt und 2025 seinesgleichen sucht. Es trägt eine Intensität in sowohl den lautesten als auch den leisesten Momenten, weil jeden Augenblick etwas Unerwartetes passieren könnte.
Man würde denken, für solche Kunst hat der Mainstream im Zeitalter der medialen Reizüberflutung überhaupt keinen Platz, geschweige denn Aufmerksamkeit. Aber Rosalía hat den Status und die Vision, um den Mainstream mit sich zu ziehen. Für 50 Minuten taucht man kurz mal in ihre gänzlich andere, sakrale Welt ab – die Transzendenz ist ihr gelungen.