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Foto: Fin Costello/Redferns/Getty Images

45 Jahre „Pretenders“: Chrissie Hynde zwischen Zorn und Lust

Mit rotziger Punk-Attitüde und Pop-Melodien legen die Pretenders vor 45 Jahren das erste wichtige Album der Achtziger vor. Das liegt natürlich vor allem an Naturgewalt Chrissie Hynde.

Der Punk ist nach einem kurzen, aber heftigen Aufbäumen zum Ende der Siebziger eigentlich schon wieder Geschichte. Er wollte die Musikindustrie auf den Kopf stellen, scheiterte aber ultimativ an sich selbst. Dennoch legt er in England den Grundstein für eine neue aufregende Zeit. Aus der Asche des Punk erhebt sich eine deutlich gleichberechtigtere Rockwelt, in der Frauen den Ton angeben. Patti Smith, Siouxsie Sioux, Debbie Harry von Blondie... und natürlich Chrissie Hynde nehmen die Dinge einfach selbst in die Hand.

„Ich war ziemlich sauer auf England“

Vor allem ihre Geschichte ist eine beispiellose Parabel von Mut, Durchhaltevermögen und eisernem Willen. Ehe sie an der Spitze der Pretenders in den Olymp aufsteigt, müht sie sich jahrelang vergeblich ab, eine Band zu finden. „Seit ich 16 bin ist es mein größtes Ziel, in einer Band zu spielen“, erinnerte sie sich mal. Bandmusikerin, nichts anderes will sie werden, und als das auch nach ihrem Umzug aus dem verschlafenen Ohio in die aufregenden Straßen von London irgendwie nicht so recht klappen will, wird sie zunehmend frustriert.

„Ich kam in England an und dachte naiv, dass ich an jeder Straßenecke auf Marc Bolan oder Jeff Beck stoßen würde“, so Hynde weiter. Alles, was ich hatte, waren ein paar hundert Dollar und drei Alben von Iggy und Lou Reed, und natürlich kam sofort die Ernüchterung – ich wohnte in diesen wirklich billigen, schäbigen Hotels, musste Lederhandtaschen auf einem dieser blöden Touristenmärkte in der Oxford Street verkaufen und an der St. Martin’s School of Art modeln. Und niemand wusste, wovon ich sprach, als ich die Stooges oder Lou Reed erwähnte. Ich war also ziemlich sauer auf England.“

Zwischen Sex Pistols, The Clash und The Damned

Während jeder Typ in ihrem Umfeld gefühlt über Nacht eine Band gründet und damit durchstartet, während sie hautnah am Aufstieg von The Clash, The Damned oder den Sex Pistols dran ist (und mit manchem Musiker ein Verhältnis hat), während sie bei gefühlt drei Dutzend Bands kurzzeitig spielt, steht sie am Ende doch immer wieder allein da. „Es war der Beginn der Punk-Sache; es gab Leute, die nicht halb so gut spielen konnten wie ich – und ich bin nicht großartig – die Leadgitarristen wurden“, meinte sie mal. Eines Tages lernt sie Nick Kent kennen. Der Journalist bringt sie zum New Musical Express, wo sie sich erst als Musikjournalistin versucht.

Sie arbeitet in Malcolm McLarens Boutique, die später als Sex bekannt sein wird, und wird schnell zum Fixstern der Londoner Szene. Und findet irgendwann endlich die richtigen Mitstreiter: James Honeyman-Scott an der Gitarre, Pete Fardon am Bass, Martin Chambers am Schlagzeug. „Der Grund, warum ich so lange gebraucht habe, um eine Band zusammenzustellen, ist, dass ich keine Musiker finden konnte, die meine Musik verstehen. Aber diese Jungs können das“, so Hynde 1979. Der Sound findet sich schnell, bei Hynde muss offensichtlich einiges raus: Kantiger Gesang, markante Gitarrenarbeit und unverblümte Texte, die von einer zur Besessenheit neigenden Chrissie Hynde fast aus dem Stegreif geschrieben und vorgetragen werden, formen direkte, aggressive und dennoch verletzliche Songs, die das Erbe des Punk in sich tragen und dennoch fürs Radio taugen.

„Aus dieser Band wird nichts“

Nur einer ist nicht begeistert: Produzent Nick Lowe, mit dem sie das Kiks-Cover Stop Your Sobbing aufnehmen. „Aus dieser Band wird nichts. Ich werde nicht noch einmal mit ihnen arbeiten“, so äußert er sich unvergessen über seine kurze Zusammenarbeit mit den Pretenders. Potential sieht er in Chrissie Hynde dennoch: „Damals waren wir alle ein bisschen in Chrissie verliebt, weil sie so cool war und sich von niemandem etwas gefallen ließ“, erinnert er sich 2006. „Sie hatte so viel Stil. Sie hatte einen harten, aber verletzlichen Sound, der wirklich ungewöhnlich war.“

Das ist auch 45 Jahre später so: Chryssie Hynde und ihre Band klingen schon auf ihrem Debüt Pretenders erotischer, selbstbeherrschter und mutiger als alle anderen in der Musikszene. Gemeinsam mit London Calling von The Clash signalisieren die Pretenders das Ende von etwas (Disco) und den Beginn einer aufregenden neuen Ära. Das kommt an: Das Album schießt auf die Eins der britischen Charts und enthält mit Brass In Pocket auch ihren ersten großen Hit, der spätestens durch die Karaoke-Szene in Lost In Translation unsterblich wird.

Unvergessen natürlich auch der Schlüsselsong Up The Neck, der mit wummerndem Bass und schwerelosen Gitarren operiert, während Chrissie Hynde einen expliziten Text rezitiert, der mit den Worten Anger and lust eröffnet wird. Denn auch das sind die Pretenders: purer Sex. Zwischen Punk, Pop und leichtem Reggae-Flair segeln die Pretenders souverän aus dem Nichts in den Mainstream. Und legen 1980 den ersten großen Klassiker des Jahrzehnts vor.

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