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Das Cover zu „Double Fantasy“ von John Lennon und Yoko Ono.

Zeitsprung: Am 17.11.1980 veröffentlicht John Lennon das letzte Album vor seinem Tod.

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 17.11.1980.

von Victoria Schaffrath und Christof Leim

Am 17. November 1980 gibt es für überzeugte John-Lennon-Fans Grund zur Freude, denn ihr Prophet veröffentlicht mit Gattin Yoko Ono nach schier endlos scheinender Schaffenspause das Album Double Fantasy. Nicht einmal vier Wochen später soll das Comeback ein tragisches Ende finden. Schauen wir sie uns an, diese letzte Platte des großen Musikers.


Hört euch Double Fantasy hier an: 



Es ist schwer, das Album Double Fantasy neutral zu betrachten. Immerhin wissen wir, was keinen Monat nach dessen Veröffentlichung im Herbst 1980 geschieht: Lennon-Anhänger Mark David Chapman holt sich am 8. Dezember zuerst ein Autogramm von seinem Idol, einige Stunden später dann schießt er ihm unerklärlicherweise mehrfach in den Rücken. Der Ex-Beatle erliegt binnen kürzester Zeit den Verletzungen. Das Musikfirmament verliert einen seiner hellsten Sterne.


Der Mord verändert alles

Natürlich lässt ein solches Ereignis die Verkaufszahlen eines kurz zuvor veröffentlichten Langspielers in die Höhe schnellen, und Musikpresse wie Öffentlichkeit verlieren sich in Neu-Interpretationen des finalen Werks des Briten. Dabei fällt die Kritik vor der Tragödie eher nüchtern bis spöttisch aus: „Klingt nach einem tollen Leben, ergibt aber eine miserable Platte“, urteilt seinerzeit der NME. Und weiter: „Ich wünschte, Lennon hätte seine frohsinnige Klappe gehalten, bis ihm etwas einfällt, das auch diejenigen unter uns interessiert, die nicht mit Yoko verheiratet sind.“

Das darf man durchaus als Spitze gegen Johns Lebenswandel zum Hausmann verstehen. Ab der Geburt des Söhnchens Sean am 9. Oktober 1975 widmet sich das Musikgenie nämlich relativ ausschließlich dem Wohlergehen des Nachwuchses. „Wir haben uns unbewusst dazu entschieden, so viel Zeit wie möglich mit unserem Baby zu verbringen. Erst dann wollen wir auch wieder Dinge außerhalb der Familie erschaffen“, äußert er sich 1977 dazu. Lennon backt Brot, plant Tagesausflüge und holt allgemein genau die Dinge nach, die ihm bei seinem Erstgeborenen Julian nur sporadisch gelingen, wie Paul McCartney schon wenig diskret in Hey Jude prophezeit.


Double Fantasy: Doppelleben als Rockstar und Familienvater

Wo viele Langeweile vermuten, scheint Lennon seine Mitte zu finden. Während eines Segeltörns nach Bermuda im Sommer 1980 geraten er und die Crew in Seenot, Lennon muss buchstäblich das Ruder übernehmen und steuert die Yacht nach dramatischen Stunden in Sicherheit. Das Erlebnis beeindruckt ihn so nachhaltig, dass wenig später die Songs für Double Fantasy entstehen. Spätestens jetzt stellt sich jedoch heraus, dass anstelle des bissigen Rockstars ein gesetzter Familienvater hinter dem Mikrofon steht. Bei Stücken wie der ersten Single (Just Like) Starting Over, Cleanup Time und Watching The Wheels kann man deutlich hören, dass der Meister des sarkastischen Kommentars von einer Neugeburt spricht, die Zeit der Exzesse und Parties hinter sich lässt. Keine „Lost Weekends“ mehr, sozusagen




Spannende Akzente setzt auf dem Langspieler eher Gattin Yoko, die beispielsweise der Ballade Woman einen New-Wave-Anstrich verpasst. Die Dialog-ähnliche Abfolge von Lennons und Onos Stücken spiegelt sich auch im Untertitel A Heart Play, einer Art Theaterstück der Herzen. Allein bei I’m Losing You schaut der alte Lennon noch einmal hinter dem Vorhang hervor, doch ein starker Song ergibt bekanntlich noch kein Meisterwerk. Ein besonders harsches Fazit zieht nach Veröffentlichung am 17. November 1980 der Melody Maker: „Maßlos steril und zum Gähnen.“


I’m Losing You: Lennon in alter Form

Letztlich kommt man nicht umhin, das Werk zumindest teilweise im Schatten  des 8. Dezember zu betrachten. Flüstert Lennon am Ende von Beautiful Boy (Darling Boy) sein zärtliches „Good night, Sean, I’ll see you in the morning“, dann bildet sich auch bei noch so nüchternem Zuhören ein ansehnlicher Kloß im Hals. Die Grammy-Jury lobt das wenig später mit dem Preis für das Album des Jahres.




Es bleibt der Trost, dass Lennon diese letzten, ruhigeren Jahre offenbar schätzt und besonders in seiner oftmals auch kontroversen Liebe zu Yoko Ono eine Erfüllung findet, die getriebenen Kreativseelen so häufig verwehrt scheint. Das Cover zum Album zeigt passend ihn und die Gattin ganz intim beim Kuss. Der Beatle erreicht die Erfüllung der Double Fantasy, des doppelten Wunschtraums: die Existenz als gefeierter Rockstar und die des zufriedenen Familienmenschen. 

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