Da sage noch mal jemand, Pop sei nicht politisch: Der rasante Aufstieg von Kamala Harris zur demokratischen US-Präsidentschaftskandidatin und zum Medienliebling schlägt hohe Wellen. Popmusik und -kultur spielen dabei eine unterhaltsame, aber eben auch wirksame Rolle.
„kamala IS brat“: Drei Worte, die – sofern Kamala Harris im November die Wahl zur US-Präsidentin gewinnt – wohl in die Geschichtsbücher eingehen dürften. Die Tage zwischen dem Rücktritt Joe Bidens von einer erneuten Präsidentschaftskandidatur und der offiziellen Ernennung von Harris als demokratische Kandidatin vergingen wie im Fluge. Mit einem ebenso atemberaubendem Tempo übernahm das Lager der ehemaligen kalifornischen Generalstaatsanwältin die Kampagne Bidens. Diese erfolgreiche, medienwirksame Übernahme gelang ihr und ihrem Team unter anderem durch ein wichtiges Instrument: Popmusik.
kamala IS brat
— Charli (@charli_xcx) July 22, 2024
Memes und Musik: „Popkultur for President“
Die drei bereits genannten Worte – „kamala IS brat“ – stammen nämlich von Charli XCX, der britischen Popsängerin, die diesen Sommer mit ihrem Album Brat die Generation Z und somit den popkulturellen Diskurs fest in der Hand hat. XCX äußert sie auf der Social-Media-Plattform X nur wenige Stunden nach dem Kandidaturrücktritt Bidens, als die Übernahme von Harris zwar wahrscheinlich wirkt, aber noch alles andere als ausgemacht ist.
Auf den XCX-Post folgt eine beispiellose Eroberung der sozialen Medien, der sich zunächst besonders Mitglieder der Gen Z anschließen, kurze Zeit später jedoch auch politische Kommentator*innen und Presse- wie Musikportale weltweit. Es entstehen Video-Edits im Grünton des Brat-Albumcovers und Crossover-Memes mit weiteren, für Harris typischen Sprüchen („Projekt Kokosnussbaum“ wird gar der inoffizielle Name der Bewegung, Harris ins Weiße Haus zu manövrieren). Anstatt sich zu distanzieren und Harris besonders würdevoll und „präsidentschaftlich“ zu inszenieren, tut das Lager der 59-Jährigen jedoch etwas, das man als Geniestreich werten darf – es begrüßt und befeuert die „Bratifizierung“ seiner Galionsfigur. Beinahe sofort zieren Brat-Verweise und Reposts der Memes die sozialen Kanäle von Harris, und man nutzt einen Song von Chappell Roan für ein Trump-kritisches Video.
Inhaltliche Schnittmengen bei Kamala und den Pop-Girls
Die Kampagne von Harris und die Künstler*innen, die die aktuelle, görenhafte Welle des Pop reiten, haben dabei eines gemein: Sie wollen zeigen, wie vielschichtig, selbstbestimmt und unabhängig Frauen sind – und eine ebensolche Zukunft sichern. XCX und Roan singen zu ihren eigenen Bedingungen von komplexen Mädelsfreundschaften, Sex, Partykultur und Objektifizierung. Harris macht etwa Abtreibung und Gleichberechtigung zu zentralen Themen ihres Wahlkampfs.
Fans diskutieren nun: Wollte uns Dylan, der alte Trickster, damit einen Streich spielen und einmal mehr die Grenze zwischen Fakt und Fiktion vermischen? Oder wollte das Management-Team hier einfach nur schnelle Kohle machen, ohne Produkte ausreichend zu prüfen? Dylan selbst hat sich – Überraschung! – zu dieser Sache bislang nicht geäußert. Es ist davon auszugehen dass er, der große, schweigsame Songwriting-Riese, das auch weiterhin nicht tun wird.
Das Resultat dieser Schnittmengen: ein Schneeballeffekt, der spontan und organisch wirkt. CNN fühlt sich berufen, zu erklären, was „brat summer“ bedeutet. Team Harris teilt wiederum die CNN-Erwähnung. Weitere Popstars versammeln sich hinter der Kandidatin mit afroamerikanischen und südasiatischen Wurzeln. Für ein erstes Kampagnenvideo und die Auftritte der Noch-Vizepräsidentin wählt man Freedom von Beyoncé , ihres Zeichens zeitloser Darling des Internets. Auf ersten Wahlkampfveranstaltungen geben sich Künstler*innen wie Megan Thee Stallion die Ehre, die mit dem Ausruf „Hotties for Harris“ die Unterstützung ihrer Fans sichert. Auch die Anhänger*innen von Taylor Swift organisieren sich, um Harris die Ernennung zur Präsidentin zu sichern.
Die Zukunft des Wahlkampfs?
Einen größeren Kontrast zum bisherigen, traditionellen Wahlkampf der Demokraten und den spaltenden, Angst schürenden Inhalten von Donald Trump kann es kaum geben. Die Schachzüge der Harris-Kampagne kommen bei der desillusionierten, berüchtigt kritischen jungen Wählerschaft an. Zudem haben sie einen erfreulich positiven Effekt auf die Streaming-Zahlen derjenigen Künstler*innen, die sich an Kamalas „bratification“ beteiligen. Im Marketingjargon nennt man das Synergie; und sie könnte auch für die Zukunft einen Wandel im Wahlkampf, wie wir ihn kennen, bedeuten.