Spätestens seit ihrem spektakulären Coachella-Auftritt vor wenigen Tagen hat auch der Rest der Welt eines erkannt: Chappell Roan hat das Zeug zum nächsten ganz großen Pop-Ding – und wird aller Voraussicht nach die nächste queere Ikone der Musikwelt. Aber wer ist diese Chappell Roan eigentlich?
von Björn Springorum
Chappell Roan weiß, wie man von sich reden macht. Bei den Grammys 2024, immerhin der wichtigste Musikpreis der Welt, fällt sie nicht mit einem tief ausgeschnittenen Kleid auf; sondern mit der Prothese einer Schweinenase. Und bei ihrem Coachella-Auftritt vergangene Woche stahl sie so ziemlich jedem anderen Artist die Show. Das kam natürlich alles nicht über Nacht. Dahinter steckt eine der erstaunlichsten und steilsten Popkarrieren der vergangenen Jahre.
Furchtlos, farbenfroh, queer
Im Gegensatz zu YouTube-Phänomenen haben wir es hier aber mit einer im besten Sinne analogen Künstlerin zu tun. Mit einer furchtlosen, farbenfrohen, queeren Künstlerin aus Missouri, die eine komplette Fantasiewelt um ihre Person und ihre Musik errichtet hat. Den Schlüssel, den hat sie längst an ihre Fans gegeben. Und von denen gibt es immer mehr: Ihre Headliner-Shows in den Staaten sind alle ausnahmslos binnen weniger Stunden ausverkauft, ihr 2023 erschienenes Debütalbum The Rise And Fall Of A Midwest Princess, mehr Tagebuch als Pop-Platte, tauchte in zahlreichen Jahresbestenlisten auf.
Chappell Roan ist Zeitgeist, ist die Stimme einer jungen Generation, die für Offenheit steht, für Sex-Positivity und für den Tod aller Genres. Deswegen klingt ihre kühne Musik auch so, wie sie klingt: Sie borgt sich den Pomp und das Melodrama der Achtziger, kreuzt es mit der Euphorie der Neunziger und dem Bubblegum-Vibe der frühen Zweitausender und vertont damit ihre eigene Selbstfindungsgeschichte jenseits stereotyper Geschlechterrollen und gesellschaftlicher Konventionen.
Selbstverwirklichung und Eigenermächtigung
Was Madonna, Boy George oder Lady Gaga begonnen haben, wird von Künstler*innen wie ihr weitergeführt. Queere Querdenker*innen, kunterbunt und unangepasst, die Bock auf Hooks und Hits haben. Mit ihren 26 Jahren steht sie schon ihr halbes Leben auf der Bühne und hatte viel Zeit, herauszufinden, was sie wirklich will. Die kurze Antwort: alles. Ihr Sound ist so facettenreich wie ihre Wahlheimat Los Angeles, ihre Liebe gilt der Drag-Kultur, ihre Vorliebe für trashiges Auftreten und wilde Accessoires sorgen für vieles, aber nicht für Langeweile.
Das hat sich längst auf ihr Publikum übertragen. Für ihre Shows gibt sie Themen vor und ruft alle Besucher*innen auf, im passenden Fummel zu erscheinen. Das sorgt für spektakuläre Events purer Selbstverwirklichung und Eigenermächtigung. Erstaunlich, was Pop kann. Wenn man ihn lässt. „Es fühlt sich an wie eine Gemeinschaft“, so sagt Chappell Roan selbst über ihre Shows. „Man darf und soll sich verrückt anziehen, weil alle anderen das auch tun werden.“ Allein fühlt sich da niemand. Im Gegenteil: Viele kommen das erste Mal irgendwo an, finden endlich ihren Stamm.
Hannah Montana als Punk
So turbulent wie die Reise vom Kind zum Erwachsenen, vom Geheimtipp zum Superstar klingt deswegen auch The Rise And Fall Of A Midwest Princess: in Teilen Dance Pop, wie er auch von Lady Gaga, Lorde oder Billie Eilish stammen könnte, in Teilen melancholischer Americana, in Teilen punkiger New Wave. Weil das Leben eben nicht schwarzweiß ist. Und eher schillernd wie ein Regenbogen. Oder eine Benzinpfütze. In die wirft Chappell Roan mit diebischem Grinsen ein Streichholz. Und sieht genussvoll zu, wie Konventionen in Flammen aufgehen.
„Mit diesem Album wollte ich beweisen, dass Frauen im Pop mehrdimensional sind“, sagt sie. „Es ist mir wichtig zu zeigen, dass ich nicht nur ein sexy Popstar bin, sondern dass ich mich genauso im Schmerz suhle wie jedes andere Mädchen.“ Inspiriert von Drang, von Burlesque und Hannah Montana dürfen wir hier auf einmal ein knalliges, glitzerndes Universum betreten, chaotisch und fabelhaft wie ein Kaleidoskop. Roan: „Ich versuche einfach, mein inneres Kind zu ehren, das dachte, es sei nichts wert, und ihm zu beweisen, dass es eigentlich ein wirklich guter Mensch ist.“ Und jetzt alle auf zu ihr nach Nimmerland.
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