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Foto: ANGELA WEISS/AFP via Getty Images

Review: „Eusexua“ von FKA Twigs ist eine Parabel von Lust und Menschlichkeit

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Allein wegen ihrer Hautfarbe wurde FKA Twigs anfangs in die R’n’B-Ecke gesteckt. Ihr radikaler, innovativer, körperlicher Pop hat sich längst freigeschwommen von dieser rassistischen Frechheit – und schwingt sich auf Eusexua zu einem überbordenden Manifest der Lust auf.

Es sind die subtilen Töne, die FKA Twigs auszeichnen. Bei aller Körperlichkeit, die die Südlondoner Ausnahmekünstlerin auszeichnet, verlässt sie sich in ihrer Musik nie auf die große Geste, den knalligen Effekt, die Nummer sicher. Stattdessen entwirft sie klangliche Räume, schwebende Sphären, die sich kaleidoskopisch verändern, entwickeln, und sich wie eine gekräuselte Rauchsäule um die Hörer:innen legen.

Lustvolle Fieberträume

Das hat sie mit bisher zwei Alben, einigen EPs und Features zu einer der spannendsten kontemporären Künstlerinnen Großbritanniens gemacht. Wo FKA Twigs ist, ist der Zeitgeist, wo sie ist, verschiebt der Pop verlässlich seine Grenzen in den Hyperraum. In besonderem Maße gilt das für ihr drittes Album Eusexua. Ob das nun Pop, Elektro, Trance, Ambient oder Hyperpop ist, soll an dieser Stelle gar nicht erst zu erörtern versucht werden: FKA Twigs ist eine Chimäre, die Genres nach Gusto verbiegt, Grenzen aufbricht und die Hohlräume dazwischen mit ihren musikalischen Fieberträumen füllt. Viel mehr geht es also darum: Wie macht sie das?

Dafür muss man ein wenig in ihre Vergangenheit reisen. Tahliah Debrett Barnett wächst im englischen Vorzeigestädtchen Cheltenham auf, flieht irgendwann nach London, arbeitet erst als Tänzerin, verliert sich aber bald in ihrer Musik. Bis heute gehört Tanz, ganz gleich, ob Hip-Hop oder Ballett, zu ihrer Persönlichkeit. Sie ist ein extrem körperlicher, sinnlicher Mensch, der offen mit seinen Begierden umgeht, viel Haut zeigt. Weil ihr Vater Jamaikaner und sie somit auch eine Person Of Colour ist, steckt man sie anfangs überfordert und rassistisch in die R’n’B-Ecke, denn welche Musik sollen Women Of Colour bitteschön sonst machen?

Verzerrt, ätherisch, außerirdisch

FKA Twigs rechnet auf ihre Art ab: mit radikaler, visionärer Popmusik, die sich an keine Regeln hält. Zwölf Jahre nach ihrer ersten EP zündet sie mit Eusexua die nächste Stufe. Es ist ihr erstes Studioalbum seit fünf Jahren und folgt auf das 2019 erschienene Album Magdalene und ihr 2022 veröffentlichtes Mixtape Caprisongs. Auch hier ist ihre leichte, luftige Stimme eine Konstante, manchmal verzerrt, ätherisch, außerirdisch. Das passt zu den experimentellen, elektronischen Klangschichten, die sie aufeinander türmt wie es manchmal auch Billie Eilish oder Grimes tun. Manchmal klingt FKA Twigs aber auch einfach wie der gute alte Dancepop der frühen Zweitausender. Und auch das steht ihr gut zu Gesicht.

Alles tanzt um das Fantasiewort „Eusexua“ herum, von Twigs selbst definiert als ein transzendentaler Zustand, der über Euphorie hinausgeht und durch Sex, Verbindung, Meditation und andere Mittel erreicht werden kann. Etwa auch über Musik, über Tanz. Ekstase als höchste Form des Seins ist nicht etwa nur der Slogan des Albums, sondern sein einziger Zweck. Dafür erreicht FKA Twigs eine Tiefe wie nie zuvor. Sie erforscht Erotik und die Macht der Unterwerfung, begibt sich auf ihre ganz eigene Reise zum Kern ihrer Lust und beschwört ein tiefes Stadium der Hypnose herauf.

Eros und Thanatos

Männer singen oder rappen ständig über Sex, darüber, wie gut sie im Bett sind. Frauen tun das eher selten. Leider: FKA Twigs erobert sich auf Eusexua das Recht auf guten Sex von den Männern zurück, lässt uns lustvoll und trippig an ihren Begierden teilhaben. Dass es in ihren Lieder auch um den Tod geht, ist nur folgerichtig: Eros und Thanatos tanzen bekanntlich eh eng umschlungen, und ein Orgasmus ist immer auch ein kleiner Tod.

Eusexua ist ein Meisterwerk zeitgeistiger Popkultur, ein Album, das sowohl in den Club als auch in ein Museum gehört.

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