Wir leben nicht mehr in den Neunzigern. Wenn wir Supercharged von The Offspring hören, können wir für 32 Minuten aber wenigstens so tun.
Es ist schwer zu sagen, was sich The Offspring dabei gedacht haben, ihre elfte Platte Supercharged mit einem mauen, poppigen Autotune-Opener wie Looking Out For #1 zu eröffnen. Der Song will selbstironisch sein, klingt in der Bridge aber eher nach O-Zone (ja, die mit DragosteaDen Tei!). Uff. Aber wer in diesen schnelllebigen Zeiten da nicht sofort abschaltet und noch mal sehen will, was die SoCal-Legenden drei Jahre nach dem durchwachsenen Let The Bad Times Roll auf der Langstrecke können, wird tatsächlich belohnt.
Da ist sie wieder, diese Pop-Punk-Magie
Und zwar sofort: Gleich danach tun sie bei Light It Up so, als wären die 30 Jahre seit Smash nie vergangen. Da ist sie wieder, diese Pop-Punk-Magie aus Dexter Hollands eindringlichen Vocals, den Melodien, dem hohen Tempo. Tatsächlich freut man sich so darüber, dass The Offspring wieder klingen wie früher, dass man dabei gnädig übersieht, dass sie, nun ja, wieder klingen wie früher. Es waren aber auch schöne Zeiten, als die Band aus Orange County mit Self Esteem erst MTV und dann die Welt eroberte und gemeinsam mit ihren Buddys von Green Day dafür sorgte, dass Punk ab diesem Zeitpunkt Massenware ist.
Soundtrack einer Generation
Im Grunde gilt also: Die dürfen das. Also alle Bedenken über Bord geworfen und The Fall Guy für seine Nähe zu The Kids Aren’t Alright gefeiert. Die Neunziger sind zurück, der Sommer ist endlos, die Arbeitswelt nur ein ferner Traum und die Tage ewig lang. The Offspring haben mit Smash und Americana nicht nur ihre beiden besten Alben veröffentlicht, sondern damit auch den Soundtrack einer ganzen Generation geschrieben. Und auch wenn neben Frontmann Holland nur noch Gitarrist Noodles aus alten Zeiten übrig ist (Drums spielt zum Teil Josh Freese von den Foo Fighters): Die DNA von Offspring hat die Jahrzehnte überdauert: etwas schneller als Bad Religion, etwas langsamer als NOFX, ausgewogen zwischen überzogen albern und zynisch politisch.
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The Offspring klingen wie Blink-182
Das führt zu zehn kurzen, wie zuletzt von Bob Rock produzierten Songs, die die Platte gerade mal so auf 32 Minuten bringen. Darf man natürlich heute wie damals im Punk. Aber dann muss eben auch jeder Song sitzen. Das ist auf Supercharged leider nicht ganz der Fall: Neben dem erwähnten Opener-Reinfall muss man sich auch noch durch Make It All Right kämpfen, das eigentlich nur Sinn ergibt, wenn man sich einredet, dass The Offspring eine Parodie auf All The Small Things von Blink-182 machen wollten. Uff.
Truth In Fiction verwöhnt da schon wieder mit Smash-Wucht und hohem Tempo und bei Come To Brazil klingen The Offspring kurz sogar ein bisschen nach Metallica (im Intro) und Alice Cooper (im School’s Out-Refrain). Sie machen also weiterhin, was sie wollen. Und das ist bewundernswert eigenwillig für eine Band, die zwar nicht mehr an frühe Erfolge anknüpft, aber immer noch hunderttausende Platten verkauft. Dexter Holland dazu: „Wir wollten, dass dieses Album pure Energie hat – vom Anfang bis zum Ende. Deshalb haben wir es Supercharged genannt. Von der Höhe unserer Bestrebungen bis zu den Tiefen unserer Kämpfe sprechen wir auf diesem Album über alles ... auf eine Weise, die das Leben feiert und zeigt, wo wir heute stehen.“
Supercharged klingt ein wenig, als würden The Offspring eine Coverplatte von The Offspring aufnehmen. Die Songs machen Spaß, sitzen und zünden; sie klingen aber oft und gern nach älteren Beiträgen aus ihrem Kanon. Für eine 32-minütige Zeitreise direkt zurück in die Nostalgie reicht das – und vielleicht will das Album ja auch gar nicht mehr?