Samy Deluxe im Interview: Über sein Album mit Conductor Williams und die Evolution des Hip-Hop
popkultur16.09.25
Deutschrap-Veteran Samy Deluxe hat sich einen Traum erfüllt: ein Collab-Album mit dem US-Produzenten Conductor Williams. Wie das zustande kam und was er über die Jahre über Hip-Hop gelernt hat, verrät er im Interview.
Ohne Samy Deluxe sähe der deutsche Hip-Hop ziemlich anders aus und, wie er 1999 prophezeite.
„Eigentlich ist es Wahnsinn, Lieder wie diese hier rauszubringen, weil damit garantiert ist, dass die der Anderen bald auch so klingen.“ Und so geschah es.
„Ach, fragen kostet nix.“
Internationale Kollaboration zwischen Samy Deluxe und Conductor Williams
Jetzt ist Samy Deluxe selbst auf eine Hip-Hop-Legende getroffen: Conductor Williams. Dieser US-amerikanische Produzent ist für seine Sample-lastigen Beats und vor allem für seine Arbeit mit Rapper:innen aus dem Griselda-Kollektiv wie Conway The Machine oder Westside Gunn bekannt. Aber auch Riesennamen wie Tyler, The Creator, J.Cole oder einen bestimmten Kanadier hat er bedient: „Drake ist der einzige Nicht-Amerikaner außer mir, dem er Beats verkauft hat“, erklärt Samy stolz.
Denn Samy Deluxe hat nun ein ganzes Album mit Conductor Williams entwickelt. In den letzten zwei Jahren hatte Samy bereits auf zwei Songs Beats von ihm genutzt. Und schon da war klar: „Von allen Sachen, die ich in den letzten Jahren aufgenommen habe, höre ich mich am liebsten, wenn ich auf Conductor-Beats bin. Im Januar letzten Jahres bin ich an einem Morgen aufgestanden und war so: ‚Ach, fragen kostet nix.‘“
Samy x Conductor fürs Plattenregal:
Also schrieb er ihm und tada: Jetzt können wir das Album Samy x Conductor in den Händen halten. Samy Deluxe erinnert sich noch genau an den Moment, als er das erste Mal in die Beats des Conductors reinhören durfte: „Ich habe sie mir angehört und war so: ‚Crazy!‘ Ich wusste gleich schon, dass das schwer wird, mir welche auszusuchen. Denn das waren 25 und ich hatte gesagt, ich kaufe ihm zehn ab.“
Passen die beiden zusammen?
Nun musste er die besten Ideen wählen und dafür „spiritual Soulsearching, gepaart mit Kalkül“ betreiben, wie er es beschreibt. „Man kann ja aus super unterschiedlichen Gründen Beats picken. Was passt am besten zu mir als Artist? Oder: Ich bin total Fan von dem und dem Sound, weil mein Lieblingsrapper gerade über so eine Art Beats rappt. Ich wollte es aber für mich als Künstler richtig machen. Ich habe oft in meiner Vergangenheit zu sehr als Fan Beats gepickt.“ Auf die Frage hin, welches seine Lieblingsplatten seien, die Conductor Williams mitproduziert hat, nennt Samy frühe Alben von Westside Gunn oder Pray For Haiti von Mach-Hommy. Aber auch das Producer-Album des Conductors selbst habe es ihm angetan.
Und wenn man die Songs auf Samy x Conductor so hört, versteht man, warum er sich diesen Produzenten ausgewählt hat. Samys Flows passen nicht nur wunderbar über seine Beats, Conductor Williams hat auch einen ziemlich einzigartigen Stil. „Ich fühl’s einfach mehr als das, was andere machen, wenn sie Soul-Samples in ihren Hip-Hop machen“, schwärmt Samy. „Er überspielt die Beats, die er in der Drum-Machine macht, danach auf Tape und lässt es durch das Tape ein bisschen leiern. Das ist also kein Plugin, sondern ein analoger Schritt, der nochmal dazu führt ist, dass da so subtil irgendetwas passiert.“ Selbst wenn sich die meisten Elemente für mehrere Minuten wiederholen, wird es wegen solcher Details nicht langweilig, erklärt Samy.
Zu viel Trash im aktuellen Hip-Hop
So viel zum Musikalischen, aber worum geht’s im Album? Samy Deluxe rappt viel über seinen Status im Rap-Game. Er erzählt, wie es damals in Hamburg begann und erklärt, wie sich seine Sicht auf die Musik heutzutage verändert hat. Dabei beobachtet er auch Dinge, die seines Erachtens heute falschlaufen. „Ich finde gerade in Deutschland fehlen eben die Plattformen, um den guten Rap, den es ja eindeutig gibt, zwischen dem ganzen Trash zu würdigen“, erläutert er. „Hier wird der aggressive Kram und der Gossip-Kram und ‚Wer hat Beef mit wem?‘-Kram mehr gefeiert, als wenn irgendjemand ein lyrisch oder musikalisch anspruchsvolles Album rausbringt.“
Fairer Punkt – aber wie rappt man über so etwas, ohne wie ein alter, verbitterter Mann zu wirken, der die Wolken anschreit? „Ich glaube, da sprechen Taten lauter als Worte. Wenn ich ein Typ wäre, der irgendwo ganz ab von der Szene sitzt und nur alle paar Jahre seine Meinung reingibt, wäre das was Anderes.“
„Aber in meinem Studio sind ja fast nur junge Rapper:innen, die ich unterstütze“, erklärt Samy. „Mein ganzes Tun ist darauf bezogen, den nächsten Generationen zu helfen und nicht Steine in den Weg zu legen durch kritische Statements – die ich aber auch vollberechtigt machen kann. Denn ich habe es ja wachsen sehen: von einer komplett idealistischen Szene von Leuten, die es ohne Geld in Jugendhäusern gemacht haben. Wir haben quasi fünf Jahre draufgezahlt, um auf die Gigs zu kommen, die wir spielen konnten, und kein Geld verdient. Und jetzt ist natürlich das Mindset ganz anders. Jetzt können Kids das machen und wissen, dass sie damit Geld verdienen können. Viele hören dann auch nach zwei, drei Jahren auf, wenn sie merken, dass bis dahin gar kein Geld reinkommt. Das sind eben andere Messwerte heutzutage.“ Er kritisiert also, ohne stumpf dem Generationenkonflikt „alt versus jung“ nachzueifern.
Mittlerweile ist Hip-Hop natürlich auch eine viel omnipräsentere Macht in verschiedenen Facetten der Kultur. Mode etwa, wie im Song Don’t Be Afraid of VHS erwähnt: „In dem Song geht es darum, dass ich mit diesen ganzen Leuten aufgewachsen bin und wir alle früher den gemeinsamen Nenner dieser Jugend-Rebellion hatten, dass wir zeigen: Im Gegensatz zu den Poppern und den Punkern und den Ravern sind wir Hip-Hopper, denn wir tragen unsere Hosen weit und unsere Cap schief. Und bei mir ist es letztendlich immer so geblieben. Ich habe keinen anderen Dress-Code als den, den ich auch auf der Bühne habe. Aber mein Publikum, das sind ganz normale deutsche Mittelstandsleute geworden, die wahrscheinlich nicht den ganzen Tag nur in Baggy Pants rumlaufen.“
Zurück zum Anfang
Samy Deluxe ist dem Hip-Hop treu geblieben und natürlich hat auch er sich über die Jahrzehnte verändert. Von den frühen Eimsbush-Zeiten mit Dynamite Deluxe, seinen erfolgreichen ersten Solo-Alben und dem poppigeren 2010er-Output scheint er in den letzten Jahren wieder bei den Wurzeln angekommen zu sein. Oldschool klingende Boom-Bap-Beats prägten seine jüngsten Alben. Und auch Samy x Conductor nutzt diese Basis im etwas experimentelleren Stil des US-Produzenten.
Ist das der natürliche Werdegang von Rapper:innen, sich nach so langer Zeit auf alte Einflüsse zurückzubesinnen? „Man weiß nicht, was alles noch kommt, ich bin ja noch nicht fertig mit Musikmachen. Aber letztendlich haben viele von uns Rapper:innen gemerkt: Es ist eh alles jetzt da. Irgendwann hatte man das Gefühl, jetzt kommen diese neuen Sounds und die drängen die alten weg und man muss sich entscheiden, ob man der Hängengebliebene von damals oder der mit dem freshen Sound sein will. Aber dadurch sind ja auch nicht nur Classics entstanden, sondern viel ist nicht Fisch, nicht Fleisch – auch, wenn ich meine eigene Diskografie angucke. Ich habe das Gefühl, dass ich jetzt gerade mehr Vision habe, langlebige Alben zu machen, aus dieser Art von Musik, die sich schon über Jahrzehnte bewiesen hat.“
Samy Deluxe muss sich natürlich gar nicht mehr beweisen. Der Prozess dieses Albums habe ihn aber nochmal mehr mit dem Hip-Hop-Spirit verbunden. Und auf das Ergebnis sei er daher wirklich stolz, auch wenn ihm das normalerweise oft schwerfalle. „Ich habe mich noch nie bei einem Projekt so sehr getraut, das vorher Leuten zu zeigen.“