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Foto: Jonathan Mannion

„Stan“: Eminem und seine Abrechnung mit toxischer Fan-Liebe

Manche Fans treiben ihre Superstar-Liebe zu weit. Das bekommt Ende der Neunziger auch Rapper Eminem zu spüren, zum Beispiel in Form obskurer Briefe. Er beschließt, die Besessenheit mancher Anhänger:innen in einem Song zu thematisieren. Das Ergebnis: Stan – mit einem ikonischen Sample von Sängerin Dido.

Zur Jahrtausendwende thront Eminem bereits hoch oben auf dem Hip-Hop-Olymp. Doch das Star-Dasein bringt auch Schattenseiten mit sich. Spätestens seit seinem zweiten Album The Slim Shady LP (1999) erhält Em immer wieder verstörende Briefe von überengagierten Fans, die seine teils von lyrischer Gewalt geprägten Texte deutlich zu ernst nehmen und falsche Schlüsse daraus ableiten. Dann hört der Rapper ein Sample aus dem Dido-Song Thank You, bearbeitet von Produzent The 45 King. Besonders die Textzeile „your picture on my wall“ gefällt Eminem. „Ich dachte mir: ‚Yo, das könnte von jemandem handeln, der mich zu ernst nimmt‘“, erklärt er 2014 in einer Genius Annotation. „Wenn ich Songs schreibe, habe ich oft eine Vision von allem, und das war auch bei Stan der Fall.“ Doch worum genau geht es in dem Track?

Stan: Eminem rechnet mit überengagierten Fans ab

In Stan schlüpft Eminem in die Rolle von Stanley „Stan“ Mitchell, der behauptet, der größte Fan des Rappers zu sein. So schreibt er Eminem im Verlauf der Strophen mehrere Briefe und je weiter der Song voranschreitet, desto mehr wächst sein Frust darüber, dass sein Idol ihm nicht antwortet. Gegen Ende des Stücks schickt Stan eine Voicemail, während er betrunken und auf Beruhigungspillen sein Auto in einen Fluss steuert, mitsamt seiner schwangeren Freundin im Kofferraum. Eminem sieht den Vorfall später in den Nachrichten – während er gerade eine Antwort an Stan verfasst. „Die Message an meine Fans ist: Sie sollen wissen, dass sie nicht alles so ernst nehmen sollten, was ich sage“, erklärt Eminem. „Nur das meiste davon.“ 

Auch Sängerin Dido erhält damals eine Nachricht von Eminem. „Ich bekam einen Brief“, berichtet die Britin im Interview mit Billboard, „in dem stand: ‚Wir haben deinen Song gehört. Wir lieben ihn. Wir würden ihn gerne für unseren Track Stan benutzen. Kannst du mal reinhören?’ Das kam einfach aus dem Nichts.“ Doch Dido habe sich das Stück angehört; sie sei damals großer Eminem-Fan gewesen und habe sofort zugesagt. Auf die Idee, Thank You zu samplen, kommt Mark Howard James, besser bekannt als The 45 King, weil er ein Talent dafür hat, kuriose Vinylsingles aufzuspüren und Beats daraus zu produzieren. Ende der Neunziger sieht er den Film Sie liebt ihn – sie liebt ihn nicht, in dem der Song vorkommt – und setzt sich gleich ans Mischpult. 

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„Don’t be a stan“: Wenn ein Song zur Vokabel wird

Als Stan am 20. November 2000 als dritte Single von Eminems drittem Album The Marshall Mathers LP erscheint, gerät der Track zu einem riesigen Erfolg. Zwar reicht es in den USA nur zu Platz 51 der Singlecharts; doch in Deutschland, Großbritannien, Australien und vielen weiteren Ländern stürmt der Song auf Nummer eins. Über die Jahre gewinnt die Single sogar so sehr an kultureller Bedeutung, dass der Begriff „Stan“ im Jahr 2017 als Synonym für obsessive Fans ins Oxford English Dictionary aufgenommen wird. Dass es sich bei dem Wort um eine Mischung aus „Stalker“ und „Fan“ handelt, soll übrigens Zufall sein. Laut Eminems Manager Paul Rosenberg habe der Rapper den Namen bloß ausgewählt, weil er sich auf „Fan“ reime.

Was einige nicht wissen: Ein Teil von Stan bleibt unveröffentlicht. „Es gab eine Strophe, in der Stan wieder aus dem Wasser stieg“, erklärt Eminem 2011 auf seinem SiriusXM-Channel Shade 45. „Er konnte entkommen und kam zu meinem Haus, um mich zu töten. Deshalb musste ich ihn töten, hab ihn aber verfehlt und er musste drei Wochen ins Krankenhaus. Dann wurde er sauer, weil ich ihm keine Genesungskarten geschickt habe, also versuchte er noch einmal, mich umzubringen. In der letzten Strophe hab ich ihm einfach den Kopf weggepustet.“ Wir lehnen uns wohl nicht zu weit aus dem Fenster, wenn wir sagen: Die veröffentlichte Version funktioniert besser. 2013 veröffentlicht Eminem mit Bad Guy eine Fortsetzung von Stan und 2025 eine Doku mit dem Titel Stans – doch das ist wie so oft eine andere Geschichte.

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