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Von Liedermachern und deutschen Pop-Poeten

Wozu war Deutsch noch mal gut? Genau! Zum Denken. Zum Dichten. Und zum Singen von, sagen wir, Popsongs? Sagt jetzt nichts! Denn im Land der Dichter und Denker gibt es eine sagenhafte deutschsprachige Musikszene. Um (international) erfolgreich zu sein, braucht heute keiner mehr Englisch, im Gegenteil: Ohne Quoten-Debatte dominiert deutschsprachige Musik bei uns im Radio. Im letzten Jahrzehnt bescherten Bands wie Juli, Wir sind Helden, Silbermond und Sportfreunde Stiller den Plattenfirmen prächtige Umsätze. Heute sind es mehr die Solokünstler, wie Peter Fox, Tim Bendzko, Bosse, Andreas Bourani, Jan Delay und Max Herre. Die Neo-Liedermacher und Pop-Poeten behaupten sich souverän in einem Spektrum, das von teutonischen Urgesteinen wie Rammstein über den mittlerweile salonfähigen Deutsch-Rap über bis hin zur "atemlosen“ Weltmeister-Sirene Helene Fischer reicht.   Der Urknall der deutschsprachigen Sänger-Songschreiber-Bewegung war die Liedermacher-Szene der 1960er. In den Fußstapfen angelsächsischer Beat-Poeten und Folksänger (Woody Guthrie, Bob Dylan) reflektierten Franz-Josef Degenhardt, Reinhard Mey und Hannes Wader, später Georg Danzer das Lebensgefühl jener Ära. Degenhardt lüftete im Nachkriegsdeutschland den Muff unter den Talaren. Hannes Wader ist immer noch die Stimme der Friedensbewegung und Alternativ-Szene. Georg Danzer begründete den Austro-Pop. Poisel, Bendzko, Bourani und Clueso haben diese Liedermacher-Tradition aufgegriffen und damit in den letzten Jahren die Charts gestürmt.     Degenhardt und Co. waren zu ihrer Zeit jedoch noch weit vom "Mainstream“ entfernt, ihre Texte: zu politisch, zu sperrig. Ihr Anliegen war ihnen oft wichtiger als die Songs selbst. Heutige Sänger-Songschreiber sparen sich die eindeutigen Parolen, zugunsten von manchmal auch unverfänglichen Bestandsaufnahmen, und ja, sie spiegeln damit den Zeitgeist, genauso wie damals die Paten der deutschen Liedermacherszene.   Fans streiten sich noch heute, mit wem so etwas wie der eigentliche Deutsch-Pop anfing. War es Udo Lindenbergs "Mädchen aus Ost-Berlin“, 1973, oder, 1974, genau vor vierzig Jahren Reinhard Meys: "Über den Wolken"? Auch wenn heute jeder Musical-Fan das "Mädchen aus Ost-Berlin“ mitsummen kann, geben wir Mey den Zuschlag und seiner Flieger-Hymne, "in der das Große sich im Kleinen spiegelt und die machtvollen Worte Freiheit, Angst und Sorge auf federleichte Weise zu ihrem Recht kommen. Allein für das Reimpaar Jacke/Luftaufsichtsbaracke müsste man ihm den Hölderlin-Preis geben", schrieb die Süddeutsche Zeitung vor zwei Jahren anlässlich Meys 70. Geburtstages. Nebenbei, triumphierte der Berliner als Frederik Mey in der Pariser Chanson-Szene – ein Ritterschlag und passendes Attribut, denn Mey ist der geschmeidigste, versierteste Überflieger der deutschen Sänger- und Songschreiber-Landschaft.   Krasser, subkultureller, lieferten in den 1970ern Ton Steine Scherben den Soundtrack zur damaligen Hausbesetzer-Szene. Das Erbe Rio Reisers, des "Königs von Deutschland“ traten Die Ärzte an und Axel Prahl nebst Tatort-Kollegen Jan-Josef Liefers (Radio Doria) plus Gattin Anna Loos (Silly).   Das Pendel schwang zurück mit der Neuen Deutschen Welle. Im Fahrwasser von Punk und New Wave gab es da jede Menge Klamauk á la "Fred vom Jupiter“ (Andreas Dorau) und "Ich will Spaß“ (Markus). Mehr Biss hatten Ideal mit "Wir steh´n auf Berlin“ ("Oranienstraße, hier lebt der Koran / Dahinten fängt die Mauer an / Mariannenplatz rot verschrien / Ich fühl' mich gut, ich steh' auf Berlin“). Ideals Sängerin Annette Humpe kehrte im letzten Jahrzehnt zurück mit Ich + Ich – natürlich auch eine zwingende Band der deutschen Popmusikgeschichte. Nicht zu vergessen: 2Raumwohnung, das Elektro-Pop-Duo-Projekt von Annette Humpes Schwester Inga, dessen letztes Album "Achtung Fertig" letztes Jahr souverän die Top-5 im deutschsprachigen Raum erreichte.     Und Grönemeyer? Seit 1984 kam jedes seiner deutschsprachigen Alben auf Platz 1 der deutschen Charts. "Mensch" von 2002 ist mit knapp vier Millionen verkauften Exemplaren das erfolgreichste Album der deutschen Musikgeschichte. Die Presse feiert den Barden aus Bochum als "Hymnendichter der Nation" (Die Zeit) und "Super-Herbert" (Stern). Was steht dahinter? Seine Authentizität. Schon 1984 machte er den Menschen im danieder liegenden Ruhrgebiet Mut, mit "Bochum“. Lest HIER unseren Extra-Beitrag zu Grönemeyers Album "Mensch"!     Deutscher Singer-Songwriter-Pop ist mehr als Nebenbeibeschallung. Die Menschen haben ein Bedürfnis nach Songs, die direkt zu ihnen sprechen. Wer bei einem Konzert von Jack Johnson verträumt mit dem Fuß wippt, singt bei Clueso und Adel Tawil lauthals mit. Vielleicht dauert es nicht mehr lang, bis englischsprachige Musiker auf Deutsch singen: "...mussh nurr nochhh kürz de World rruetten, dänächh fläig ech zu Dierr".  

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