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Zeitsprung: Am 5.1.1973 veröffentlichen Aerosmith ihr Debüt.

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 5.1.1973.

von Christof Leim

In Anbetracht der platinüberzogenen Weltkarriere von Aerosmith wirken und klingen die Anfänge doch unscheinbar: Am 5. Januar 1973 lassen die „Bad Boys from Boston“ ihr Debütalbum vom Stapel. Zwar zeigen die Grünschnäbel bei den Aufnahmen Nerven, doch die Grundlagen ihres Sounds sind schon deutlich zu hören. Außerdem gibt es da eine Goldnummer mit Piano…

Hört euch das Album Aerosmith von 1973 hier an:

„Die Band war sehr angespannt“, erinnert sich Steven Tyler in seiner Autobiografie an die Aufnahmen zu Aerosmith. „Wir waren so nervös, wir sind förmlich erstarrt, wenn das rote Licht anging. Wir hatten die Hosen gestrichen voll.“

Gesang à la Kermit

Zwar spielt das Quintett aus Boston seit Anfang der Siebziger so viele Shows, wie es nur geht, doch ein Studio hatte außer Sänger Tyler noch keiner der Fünf von innen gesehen. Produzent Adrian Barber erweist sich ebenfalls als keine große Hilfe. Schon damals wird im Hause Aerosmith ordentlich gefeiert, sowohl die Musiker als auch der Produzent gehen selten nüchtern zu Werke.

Vielleicht klingen die acht Songs deshalb so roh, trocken und ein kleines bisschen rumpelig: Gesang, zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug, fertig.  Es verblüfft allerdings, wie sehr Aerosmith in diesem frühen Stadium schon nach Aerosmith klingen: Der satte Rock’n’Roll, die schmierig-geilen Riffs, die Blues-Basis, die hektische Energie – alles am Start. Leider verkauft sich ausgerechnet Steven Tyler deutlich unter Wert: Weil er mehr wie ein Blues-Sänger klingen will, singt er tiefer und klingt letztendlich – nach eigenen Aussagen! – wie „Kermit, der Frosch“. Und das trifft es ganz gut.

Die Lieder stammen fast alle von Tyler, lediglich Movin’ Out schreibt er mit Leadgitarrist Joe Perry, seinem Songwriting-Partner für die nächsten Dekaden. Mit Walkin’ The Dog covert die Mannschaft zudem einen R&B-Hit von Rufus Thomas, den sich schon die Rolling Stones für ihre erste LP vorgeknöpft hatten.

Die ersten Klassiker

Alle Lieder kommen in den Siebzigern regelmäßig zum Live-Einsatz und verschwinden erst später von den Setlisten. Zwei Songs allerdings überdauern die Dekaden und gelten mittlerweile als Klassiker: Mama Kin, ein flotter Rock’n’Roller mit Bläserunterstützung, wird 1986 von Guns N’ Roses gecovert und sowohl auf der EP Live Like a Suicide als auch auf G N’ R Lies (1988) veröffentlicht.

Der herausragende Song der Platte heißt aber Dream On. Mit dieser Pianoballade, die sich um eine dramatische Gesangslinie bis zu einem fulminanten Finale steigert, schaffen Aerosmith ein Meisterwerk, ihr Stairway To Heaven sozusagen. Zum Glück singt Tyler hier auch nicht wie eine Figur aus der Muppet-Show und lässt sogar seine typischen Schreie los. Doch bis Dream On zündet, dauert es eine Weile: Erst eine Neuveröffentlichung der Nummer als Single erreicht im Januar 1976 die Top Ten in den USA.

Als die Platte am 5. Januar 1973 in die Läden kommt, steht die Welt (noch) nicht in Flammen. Immerhin kann das Album Platz 21 in den US-Charts erklimmen, obwohl es zum Ärger der Musiker nicht mal im Rolling Stone besprochen wird. Einige Stimmen behaupten sogar, dass die Plattenfirma Columbia Records ihre Promokraft lieber in das am gleichen Tag erscheinende Debüt von Bruce Springsteen gesteckt habe. Heute hat Aerosmith natürlich mehrere Platinveredlungen erfahren, zum Beispiel für mindestens zwei Millionen Verkäufe in den USA. Als Startpunkt funktioniert die Scheibe hervorragend, denn schon auf dem nächsten Album Get Your Wings (1974) verfeinern Aerosmith ihren Sound zum dem Stil, der sie zu Stars machen sollte.