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Nigel Crane/Redferns/Getty Images

20 Jahre „American Idiot“: Green Days Comeback und die große amerikanische Desillusionierung

Nach der Jahrtausendwende schienen die großen Tage von Green Day gezählt zu sein. Dreifach-Platin? Das gehörte der Vergangenheit an. Doch 2004 meldeten sich die Kalifornier mit ihrem siebten Album American Idiot zurück — und feierten mit der Platte überraschend einen der größten Erfolge ihrer Karriere.

Was haben Green Day in den Neunzigern nicht alles erreicht. Diamant und Platin; Millionen verkaufter CDs. Doch im Jahr 2000 ist Schluss damit – die Gruppe verliert damals an Relevanz. Das sechste Green-Day-Album Warning bleibt weit hinter den Erwartungen zurück, beschert den Kaliforniern bloß eine einzige goldene Schallplatte und läutet das mutmaßliche Ende einer Band ein, deren drittes Album Dookie sich mehr als 20 Millionen Mal verkauft hat. Hat es sich ausgepop-punkt? Haben Green Day ihre Geschichte zu Ende erzählt? Vielleicht ist es im Jahr 2000 so. Doch wenig später steht die US-amerikanische Heimat der Band plötzlich Kopf. Green Day können sich vor Inspiration kaum retten — und werden bestohlen. 

American Idiot: Ein Album über Desillusionierung

Wir lehnen uns wohl nicht zu weit aus dem Fenster, wenn wir behaupten: Die Terroranschläge vom 11. September 2001 haben nicht nur die USA, sondern die ganze Welt verändert. Das spüren damals auch Green Day. Zusätzlich zieht um die Jahrtausendwende der Republikaner George W. Bush ins Weiße Haus, verfolgt eine konservative, rückwärtsgewandte Politik und fällt eher durch Inkompetenz auf, denn durch positive Veränderungen. Die gesellschaftlichen Spannungen inspirieren Green Day zu einem neuen Album namens Cigarettes And Valentines, auf dem sie zum härteren Punksound ihrer Anfangstage zurückfinden. Doch als die Masterbänder gerade im Kasten sind, werden sie aus dem Studio geklaut — und Green Day fangen noch einmal von vorne an.

Im zweiten Anlauf konzentrieren sich Green Day komplett auf die damals desillusionierten USA. Vor allem junge Menschen finden sich ab 2000 in einem Amerika wieder, das kaum noch etwas mit dem sprichwörtlichen „Traum“ zu tun hat, der ihnen von klein auf versprochen wurde. Stattdessen kommt es zu Terroranschlägen, Amokläufen und dem Irakkrieg. Viele US-Medien verbreiten damals schiere Panik, was Green Day auf American Idiot aufgreifen. „I’m not part of a redneck agenda“, singt Frontmann Billie Joe Armstrong im Titeltrack. „Now everybody, do the propaganda!“ Er distanziert sich vom „idiot America“ und sendet die Message aus: Lasst euch von der hysterischen Berichterstattung nicht verrückt machen. 

Was den musikalischen Aufbau betrifft, schaffen Green Day mit ihrem siebten Album eine Punkrock-Oper, deren Hauptfigur sie als „Jesus of Suburbia“ bezeichnen, also als „Jesus der Vororte“. Die Songs auf der Platte funktionieren einzeln — aber vor allem zusammen. Das äußert sich in fließenden Übergängen, dramaturgischen Aufs und Abs sowie dem thematischen roten Faden der Platte. „Sobald man sich von der typischen Strophe-Refrain-Strophe-Refrain-Bridge-Struktur verabschiedet“, erklärt Green-Day-Sänger Billie Joe Armstrong, „öffnet das den Geist für eine völlig neue Art des Schreibens, bei der es keine Regeln gibt.“ Das hört man American Idiot deutlich an — trotzdem strotzt die Platte nur so vor Hits.

American Idiot: Green Days Punkrock-Oper mit Mega-Hits

Ganze fünf Singles gehen von 2004 bis 2005 aus American Idiot hervor. Da wäre zunächst der Titeltrack, der am 6. August 2004 erscheint, also bereits anderthalb Monate vor der Veröffentlichung des Albums. Am 29. November 2004 merken Green Day, wie gut ihr siebtes Werk ankommt, und schieben die Ballade Boulevard Of Broken Dreams hinterher. Am 14. März 2005 folgt Holiday, am 13. Juni erscheint Wake Me Up When September Ends. Und am 14. November, also mehr als ein Jahr nach der Veröffentlichung des gesamten Albums, bringen Green Day noch die fünfte Single Jesus Of Suburbia raus. In Großbritannien landen sie mit jeder der fünf Auskopplungen in den Top 20. Was für ein Erfolg!


Mit dem Album an sich fahren die Kalifornier ähnliche Erfolge ein. Zum ersten Mal Platz eins in den USA, Platz eins in Großbritannien — und immerhin Platz drei in Deutschland. Green Day sind wieder da, bissiger und rockiger denn je. Auch auf der Bühne ändert sich damals einiges. Die Band tritt nun in „Uniformen“ auf, und zwar in schwarzen Hemden mit roten Krawatten. Alles wird eine Stufe größer, professioneller und ja, noch lauter. Fast hatte es so ausgesehen, als hätten Green Day ihren Zenit überschritten. Doch mit American Idiot beweisen die Kalifornier im Jahr 2004 der ganzen Welt: Wir sind noch lange nicht fertig. Das bleibt vermutlich noch eine Weile so. Denn wenn man sich auf eins verlassen kann, dann darauf, dass die USA weiter genug Inspiration für Green Day liefern.


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