Featured Image
Foto: Can Wagener

Interview mit Mia Morgan: „Von Frauen wird immer eine größere moralische Hoheit erwartet“

Bitte Zählermarke einfügen

Mit ihrem zweiten Album Silber huldigt die Kasseler Erscheinung Mia Morgan der Musik ihrer formativen Jahre. 2000er Pop trifft Metalcore, Screamo trifft Alternative Rock. Das knallt musikalisch ebenso sehr wie inhaltlich: Silber ist ein loderndes feministisches Manifest voller Furor und Zynismus, ein Dolch im Herzen des Pop-Patriarchats.

Mia Morgan ist eine Ausnahmeerscheinung. Selbst in der deutschen Indie-Szene ist niemand wie sie. Sie macht, was sie will, geht fast schon stur ihren eigenen Weg. Der führt sie konsequent zwischen alle Stühle an einen Ort, der nur ihr gehört. Ihr zweites Album Silber erzählt von ihrer Reise, von der Rolle der Frau in einer sexistischen und rassistischen Industrie, von denen, die alles auf einem Silbertablett bekommen (Spoiler: die mit Penis, vorzugsweise ein weißer) und denen, die um jeden Zentimeter kämpfen müssen.

Diesen Kampf führt Mia Morgan mit Furor, Eloquenz und Gusto, mit Überzeugung und beeindruckender Kraft. Sie könnte es sich einfacher machen und mit ihrem Talent große Pop-Hits schreiben. Stattdessen knallt sie uns mit Silber ein bewusst überproduziertes Werk um die Ohren, das den Pop der frühen 2000er, Alternative, Metalcore und Manga-Ästhetik bündelt.

Mia, wer war dein allererstes Idol?

Puh, das ist echt schwierig. Ich habe schon immer einen ausgeprägten Hang zum Personenkult gehabt. Das erste Mal, dass ich mir gedacht habe „Genau so will ich auch sein“ war, als ich Vanilla Ninja auf VIVA gesehen habe. Anfang der 2000er. Dabei war das damals nur in einer Umkleidekabine im Karstadt, wo immer VIVA ohne Ton lief. Da muss ich acht oder neun Jahre alt gewesen sein. Ich dachte mir nur: Das sind die coolsten Frauen, die ich je gesehen habe. Vanilla Ninja waren ewig meine Lieblingsband. Außerdem waren sie mein erstes Konzert.

Mittlerweile hat es sich gedreht, heute bist du selbst Role Model, Vorbild für viele. Was macht das mit dir?

Wie gesagt, ich hatte immer schon diesen Hang zum Personenkult und wünschte mir damals natürlich auch, dass man mich so richtig abkultet. (lacht) Trotz meines mangelnden Selbstbewusstseins habe ich mich immer schon als Person wahrgenommen, die viel zu bieten hat und die viel geben möchte. Deswegen ist es eine große Ehre zu wissen, dass ich Leute mit meiner Kunst erreiche.

Das mit der Vorbildfunktion finde ich aber ein bisschen schwierig. Ich habe das Gefühl, diese Rolle wird insbesondere Frauen immer automatisch übergestülpt. Von Frauen wird immer eine größere moralische Hoheit erwartet. Aber da sehe ich mich gar nicht. Natürlich setze ich mich für meine Überzeugungen ein und versuche, ein guter Mensch zu sein, aber selbstverständlich habe ich hier und da Dinge in meinem Leben oder an mir, die ich anderen nicht ohne Disclaimer raten würde. Aber das sind alles Sachen, die einen menschlich machen. Ich bin also lieber Inspiration als Vorbild.

„Ich bin der perfekte Mensch für eine Sekte.“

Warum bist du eigentlich so anfällig für Personenkult? Hast du dich da schon mal analysiert?

Nee, keine Ahnung. Es ist nur gut, dass ich nicht in den Siebzigern in Los Angeles gelebt habe. Sonst wäre ich sehr wahrscheinlich bei Charles Manson gelandet. Ich bin der perfekte Mensch für eine Sekte, weil ich Menschen schnell auf ein Podest stelle und idolisiere.

Mia Morgan hat als Solo-Projekt angefangen, mittlerweile haben wir es mit einer richtigen Band zu tun.

Am Anfang haben ich sehr damit gehadert und wollte niemanden ranlassen, weil ich mir gar nicht vorstellen konnte, dass jemand meine Songs so spielt, wie ich das gern hätte. Dann kam aber mehr und mehr der Wunsch, eine bessere Live-Show auf die Beine zu stellen. Vor dem Lockdown stellte ich also meine erste Band zusammen, von der aber nur mein Gitarrist Lukas blieb. Der hat jetzt auch mein Album produziert und ist der Musical Director meiner Live-Band. Wir sprechen dieselbe musikalische Sprache, das war nur logisch.

Nach und nach kamen die anderen dazu und sind mittlerweile zu meinen besten Freunden und engsten Vertrauten geworden. Über die Zeit bekamen sie auch mehr Mitspracherecht und übten einen Einfluss auf den Sound aus. Unser Drummer Steffen kommt eher aus dem Hardcore und hat von da natürlich einen ganz eigenen Schlagzeugstil mitgebracht. Meine Musiker haben die Musik deutlich vielfältiger gemacht.

Auf Silber schwingt entsprechend viel mit – von 2000er-Pop bis Metalcore. Ist das ein bisschen auch ein Spiegel deiner musikalischen Sozialisation?

Total. Das Album ist inspiriert von der Musik, die ich in meiner Jugend gehört habe. Aber es ist eben auch ein Versuch, das Ganze modern zu interpretieren und in einen Hyperpop-Kontext zu setzen, in dem alles bewusst überproduziert ist. Es ist kein roher Rock, der einfach aus der Dose kommt, sondern Computermusik, bei der jeder einzelne Takt extrem bedacht gesetzt und gemischt ist. In der Musik passiert derzeit so viel Gutes. Bring Me The Horizon, Bad Omens, Poppy, Spiritbox, das finde ich alles mega geil.

„Männer sind einfach Musiker und Frauen sind automatisch FLINTA-Artists. Das nervt.“

Du hast dir nach deinem Debütalbum Fleisch viel Zeit für Silber gelassen. Was waren die Gründe dafür?

Ich war zwei Jahre lang sehr viel live unterwegs. Anfangs wollte ich auch eigentlich eine EP machen, aber dann habe ich mich kurz vor Schluss spontan dazu entschieden, noch ein paar Songs nachzuschieben. Hinzu kam, dass ich damals mein eigenes Label gestartet habe und wieder begonnen habe, mich um alles selbst zu kümmern. Das war mir wichtig, weil ich endlich wieder meine Musik veröffentlichen wollte, wann ich es für richtig und wichtig hielt. Ich wollte es mir selbst beweisen. Entsprechend geschäftig und ereignisreich war diese Zeit, weil ich eben wirklich alles selbst mache.

Hundert Prozent DIY also?

Im Grunde ja. Klar habe ich einige Partner, aber es geschieht nichts ohne mich. Das ist auch alles total cool, aber es ist gleichzeitig auch eine riesige Belastung. Um ehrlich zu sein, bin ich derzeit mit meinen Nerven am Ende. Mit 100.000 Euro auf dem Konto wäre das was anderes, aber so investiere ich eben alles, was ich habe, in diese nischige Band. Ich habe Gott sei Dank mittlerweile ein cooles Netzwerk aus Leuten, die verschiedene Skills mitbringen. Das ist total schön und ein echtes Community-Ding. So etwas wollte ich immer.

Inhaltlich geht es in manchen Songs um deine Rolle als Frau in einer sexistischen und patriarchalen Branche. Wie gehst du mittlerweile mit diesen Themen um? 

Ich finde es schade, wenn diese Fragen kommen, bevor man mit mir über meine Musik geredet hat. Und wenn ich Anfragen bekomme, die sich nur mit diesem Thema auseinandersetzen, dann habe ich immer das ungute Gefühl, dass es im Grunde ganz egal ist, was für Musik ich mache. Hauptsache wir sind eine Frau auf der Bühne und positionieren uns politisch und das reicht dann aus. Das finde ich total beschissen, weil es bei Männern nicht ausreicht, ein Mann zu sein. Aber Männer sind eben einfach Musiker und Frauen sind automatisch FLINTA-Artists. Das nervt. Es sollte nur um die Musik gehen und darum, was die Musik sagt. Daher finde ich es kontraproduktiv, wenn der aktivistische Anteil eine größere Rolle spielt als die tatsächliche Person dahinter.

Fühlst du dich als Außenseiterin oder mitten im Zentrum der deutschen Poplandschaft?

Ich bin total außen vor. Manchmal macht mich das total traurig, aber auf der anderen Seite war es auch immer schon so. Ich weiß aber eben auch nicht, warum ein Mensch, der noch nie irgendwo so richtig dazugehört hat, ausgerechnet in diese Industrie gegangen ist, in der insbesondere in Deutschland Einheitlichkeit, Obrigkeit und Low Profile verlangt werden. Mittlerweile habe ich mich ein wenig damit abgefunden, dass ich selbst im Indie-Bereich nicht so wirklich dazugehöre.

Weiter stöbern im Circle Mag: