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Foto: Lea Garn

Review: Haim finden auf „I Quit” genussvoll zu sich selbst

Wer dachte, die Haim-Schwestern haben schon davor auf alles gepfiffen, wird staunen: Mit I Quit schlüpft die Band aus jedweder Erwartung und spielt sich in einen furiosen Sommerrausch aus Rock, Indie, Lo-Fi-Pop und Funk.

Selten war ein Albumtitel so ernst gemeint: Haim machen Schluss, hören auf, sind raus. Sie haben keine Lust mehr, Erwartungen zu erfüllen, sich löchern zu lassen, Dinge zu tun, um irgendwo dazuzugehören. Als Rock-Band hat sie der Boys Club eh nie wahrgenommen, obwohl natürlich alles dafür spricht, also heißt die Devise für Album vier: Einfach machen. Wie gut das I Quit getan hat, merkt man schon dem fluffigen Opener Gone ein, der genussvoll George Michael zitiert und zur Euphoriebombe schlechthin wird.

Roadtrip ins eigene Ich

Haim haben ein Album geschrieben, das nicht nur wie Kalifornien klingt. Sondern vor allem wie Kalifornien denkt. Freiheit, Selbstverwirklichung, Loslassen und sich selbst neu (er)finden. Diese Dinge eben. I Quit ist ein Roadtrip ins eigene Ich, eine Cabriofahrt in den Sonnenuntergang, bei der man sein altes Ich und vor allem Erwartungen an dieses alte Ich weit hinter sich in der Wüste zurücklässt. Es ist viel passiert, unter anderem hat sich das Trio von ihrem langfristigen Produzenten getrennt. Es wollte also erst mal ein neuer Bandsound gefunden werden.

„Jeder einzelne Song hat das Thema, etwas aufzugeben, das für uns nicht mehr funktioniert“, so sagte Alana Haim im Vorfeld der Veröffentlichung. Entstanden ist ein Album, das das Wort „lässig“ neu definiert und mit großer Lust am US-amerikanischen Songbook Rock’n’Roll und Folk zitiert. Das kann mal Springsteen sein, mal Cat Power und mal Fleetwood Mac. Egal. Hauptsache, es gefällt den Schwestern. Ist das ein Wagnis? Unbedingt. Aber ganz gleich, wie es auch ausgehen mag: Es gab für die Schwestern keine Alternative.

Indie-Pop und Shoegaze

Vor Nostalgie sind auch Haim nicht gefeit. Kommt wohl automatisch, wenn man sich aus etwas befreien will – es blubbert automatisch noch mal an die Oberfläche. Die Single Take Me Back ist da sogar ganz passend betitelt, weil sie wie der Indie-Rock der frühen Nullerjahre klingt. Dazu passt auch der fuzzige Shoegaze-Sound von Lucky Stars, bei dem man sich unweigerlich an den Soundtrack des Films Lost In Translation erinnert. Es kam offensichtlich viel hoch bei diesem Weg in eine neue Zukunft. Bei den üppigen 15 Stücken kann das zumindest beim ersten Durchgang für ein fehlendes Gefühl der Kohärenz sorgen. Das legt sich aber rasch, weil man schnell versteht, was die Schwestern hier liefern: einen ungefilterten, echten Blick in ihre Herzen und Köpfe. Das gibt es bei Künstlerinnen ihrer Größe selten.

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Haim sind eine andere Band geworden

Vielleicht ist alles eine Spur zurückgefahren, weniger wild und krachig. Aber so ist das ja auch bei jedem Roadtrip: Es gibt die Phasen, in denen man laut schreiend und jubelnd aus dem Fenster hängt – und die Phasen, in denen man still und zufrieden der vorbeiziehenden Landschaft zuschaut, umarmt vom wohligen Gefühl, mit den richtigen Menschen am richtigen Ort zu sein. I Quit spielt sich an einem Scheideweg ab. Es wurde viel gelernt, aber das Gestern wirkt noch nach. Das macht es zu einer Ausnahmeerscheinung in ihrer Karriere, zu einem Übergangswerk, das einerseits immer noch Haim und voller Spaß an der Musik und am gemeinsamen Weg ist. Dennoch sind Haim nicht mehr dieselben. Und man merkt ihnen an, wie gut ihnen das schon jetzt tut.

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