Man ist nicht oft live dabei, wenn aus einem Phänomen ein Weltstar wird. Bei Yungblud ist dieser Moment jetzt gekommen – mit Idols, einem neuen quintessenziellen englischen Indie-Album.
Yungblud hat sich für 2025 ordentlich was vorgenommen. Unter anderem hat er sich das Ziel gesetzt, der englischen Rockmusik eine neue Hymne zu bescheren. Ist ja schon ein Weilchen her, seit das Queen mit Bohemian Rhapsody taten. Ein großer Vergleich, sicher. Aber doch irgendwie genau das, was Yungblud mit der Leadsingle Hello Heaven, Hello getan hat. Ein neunminütiges Epos, drei Songs in einem, die sich aufeinander beziehen, Themen etablieren und später wieder aufgreifen. Queen und die Stones stecken da ebenso drin wie The Verve, Oasis, Placebo und Led Zeppelin. Jede Menge A-Garde aus Großbritannien, also. Und genau mit der richtigen Mischung aus Größenwahn und englischem Understatement.
Radikale Neuerfindung
Sein viertes Album Idols beweist jetzt: Diese grandiose erste Single war nur der Anfang. Das hier ist das Album, das aus Yungblud einen Megastar machen wird, eine führende Stimme der englischen Musik. Das zeichnete sich schon länger ab, klar, aber so richtig offenbar wird es erst jetzt. Weil sich Yungblud so viel traut wie nie zuvor. Weil er keine Scheu vor der großen Geste hat. Und sich radikal und rigoros neu erfindet.
Das macht er einerseits, in dem er seine von Emo und Pop-Punk sensibilisierte Vergangenheit hinter sich zurücklässt. Und andererseits, indem er der Musik seiner Heimat ein Denkmal setzt. Voller Freude und Liebe zitiert er all das, was Großbritannien und Irland an wunderbarer Musik hervorgebracht haben – vom rotzigen Punk bis zur ganz großen Pathos-Orchestrierung Marke U2. Das dürfte vor allem für die jüngere Hälfte seines massiv gewachsenen Publikums bisweilen eine Herausforderung sein. Die meisten haben selbst Oasis nicht bewusst miterlebt. Doch weil die Yungblud-Crowd nun mal eine ist, die weder musikalisch noch in Gender-Fragen Scheuklappen kennt, wird das eine Herausforderung sein, die zu gern angenommen wird.
Die Magie der Transformation
Was aber kann denn jetzt der erste Teil dieses geplanten Doppelalbums genau? Jede Menge. Uns einen Yungblud zeigen, wie wir ihn noch nie gehört haben, zum Beispiel. Der 27-jährige Antiheld aus Doncaster erkundet mit Part eins Selbstvertrauen, Zugehörigkeit und die Magie der Transformation. Idols ist locker sein bislang ambitioniertestes Werk, eine Hommage an die British Invasion, an Britpop, aber auch an sich selbst. Er hat ja mittlerweile auch einiges durch, einige Meilen auf dem Tacho.
Idols im Circle Store:
Yungblud ist tot – es lebe Yungblud
„Ich habe mein letztes Album nach mir selbst betitelt, weil ich mich verzweifelt an Yungblud festklammern wollte – eine Idee, die ich mit 18 hatte“, so sinniert Dominic Harrison in einem aktuellen Interview mit NME. „Wenn man so in die Welt kommt, ist man wie eine Momentaufnahme eingefroren. Wenn man diese Idee wieder aufwärmt, hinterfragen die Leute deine Authentizität – war das immer nur eine Show? War Yungblud eine Rolle? Absolut nicht. Ich bin einfach aus der ersten Version herausgewachsen.“
Die zweite Version begeistert uns jetzt mit einem überlebensgroßen Rockalbum, das all die guten Eigenschaften hat, die in der Gitarrenmusik in den letzten Jahren ins Hintertreffen geraten sind. Der vielleicht spannendste Titel des Albums ist deswegen auch Ghosts, ein sechsminütiger Kracher mit einem kraftvollen instrumentalen Outro. Der Anfang könnte auch von The Edge von U2 stammen, später steigert sich der Song in eine Eruption aus unglaublichen Drum-Texturen, ineinander verwobenen Bass- und Gitarrenklängen und einem überraschend heftigen Schrei, der wie Katharsis wirkt.
Yungblud möchte sich aus seiner alten Rolle befreien. Um jeden Preis, wie es bisweilen scheint. Aber eben auch mit den richtigen Gegenargumenten. „Wenn man zu einem solchen Symbol der Jugend wird, wird man entweder zu einer Karikatur seiner selbst und spielt für immer Neunziger-Jahre-Nights – man bleibt einer Ära verhaftet – oder man erfindet sich verdammt noch mal neu“, so Yungblud. Idols zeigt sehr deutlich, wofür er sich entschieden hat.