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Foto: Universal Music

Von wegen „Mean Girls“: Wie die Castingband KATSEYE an Format gewinnt

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Casting-Bands werden außerhalb der K-Pop-Welt noch immer mit Verachtung oder Misstrauen gestraft. So erging es teilweise auch der „Global Pop Band“ KATSEYE, die über eine Webshow namens The Debut: Dream Academy gefunden und nach K-Pop-Methoden ausgebildet wurde. Nach einer bisweilen harten Netflix-Doku-Serie und Hits wie Touch und Gnarly haben die sechs inzwischen deutlich an Profil gewonnen. Gerade zeigen sie sich mit dem Song Mean Girls als Allies der Trans-Community – was sich heute nicht viele US-Pop-Stars trauen.

Als journalistisches Medium sollte man sich natürlich nicht so weit aus dem Fenster lehnen, dass man sich selbst zu den „EYEKONS“ zählt – so nennen sich nämlich die Fans der Casting-Band KATSEYE. Aber sagen wir mal so: Wir fanden das Projekt von Anfang an spannend. Sie sind nämlich eine international gecastete „Global Pop Group“, die per Reality-Web-TV-Show gefunden und nach K-Pop-Methoden ausgebildet wurde. Das gab es in dieser Form nur selten. Hinter The Debut: Dream Academy steckte neben dem US-Label Geffen/Universal auch die Produktionsfirma HYBE, deren Gründer und Chef die K-Pop-Superstars BTS entdeckt und ausgebildet hat.

Das Projekt lief von Anfang an eigentlich eher nicht so rund: Niemand wusste so recht, wann neue Episoden online gingen, die Prüfungen und Performance-Videos der Teilnehmenden hatten logischerweise nicht das Niveau, das jahrelang ausgebildete K-Pop-Idols liefern können und der Voting-Prozess für die Fans war schwer durchschaubar. Besonders fies für die Teilnehmenden war die Verkündung auf halber Strecke, dass man plötzlich in einer Survival-Show sei. Was bedeutete: Teilnehmerinnen konnten rausgewählt werden – von Publikum und Jury gleichermaßen. Es folgten Entscheidungen, die nicht immer transparent waren. Für die jungen Frauen, die ihre Heimat verlassen hatten, um für über ein Jahr in Los Angeles zu wohnen und ausgebildet zu werden, war das ein harter Cut.

Plötzlich Identifkationsfigur

Was man aber von Anfang an merkte: die Teilnehmerinnen waren allesamt ziemlich außergewöhnlich – und wirklich so „global“ wie angekündigt. In ihnen sahen sich viele (K-)Pop-Fans repräsentiert: Die Schweizerin Manon Bannerman als junge PoC wurde ebenso zur Identifikationsfigur wie die indisch-amerikanische Sängerin Lara Raj oder die auf Hawaii lebende Megan Skiendiel, deren familiäre Wurzeln in Singapur, Schweden und China liegen.

Als KATSEYE nach einer Final-Show, die ebenfalls nicht ganz das Riesen-Online-Happening war, endlich gegründet wurden und mit kurzen, aber schon recht guten Pop-Songs wie Debut und kurz darauf Touch debütierten, kam so langsam Schwung in die Sache. Spätestens hier merkte man, dass Daniela Avanzini (USA), Lara Rajagopalan (USA), Megan Skiendiel (USA), Yoonchae Jeong (Südkorea), Sophia Laforteza (Philippinen) und eben Manon eine sehr ansteckende Chemie untereinander haben.

Die Netflix-Doku, die mal fair und mal fies war

Aber dann ging die achtteilige Netflix-Doku-Serie Pop Star ^1Academy: KATSEYE online – und warf der neu formierten Band erneut ein paar Knüppel zwischen die Beine. Regisseurin Nadia Hallgren, die schon die Emmy-nominierte Michelle-Obama-Dokumentation Becoming: Meine Geschichte gedreht hatte, zeigte den bisweilen harten Prozess dieser Ausbildung und scheute auch nicht davor zurück, die manchmal fragwürdigen Entscheidungen der Macher:innen zu kritisieren. Aber sie hatten eben auch große Freude an Soap-Opera-Momenten, zeigte genüsslich, wie die plötzliche Konkurrenzsituation zu Spannungen führte und inszenierte zum Beispiel Manon auf ungute Weise. Sie war von Anfang an ein Favorite der Produzenten, hatte aber mit dem Trainingspensum zu kämpfen und wurde deshalb als irgendwie faul und hinterhältig inszeniert.

Das Internet – vor allem die EYEKONS und die K-Pop-Bubble – lief heiß und KATSEYE bekamen zwar auch viel Liebe, aber auch viel Hass. Südkoreanische K-Pop-Stans sahen ihre Kultur verraten und kritisierten, dass KATSEYE sich nicht so reserviert verhielten, wie es koreanische Idols müssen. Fans der einzelnen Frauen kämpften untereinander und einige Ex-Teilnehmerinnen ließen ihren Unmut über den Verlauf der Show bei TikTok und Co. raus.

„Als ich anfing, das zu erleben, was die Idols täglich durchmachen, wuchs mein Respekt vor ihnen ins Unermessliche.“

Sophia von KATSEYE

Zu dieser Zeit, als dann auch die Debüt-EP SIS – Soft is Strong veröffentlicht wurde, hatten wir die Gelegenheit, mit allen sechs zu sprechen. Daniela gab offen zu, dass es nicht leicht war, alle Folgen der Doku zu sehen. Sie habe viel geweint und vor allem die „Eliminations“ waren schwer anzuschauen. Sophia, die Leaderin der Band, erklärte uns, wie hart diese K-Pop-Ausbildung gewesen sei: „Ich war gerade K-Pop-Fan geworden, als ich von dem Casting erfahren habe. Als ich in dann ins Programm kam und anfing, das zu erleben, was die Idols täglich durchmachen, wuchs mein Respekt vor ihnen ins Unermessliche. Man hörte ja immer wieder, wie hart Idols arbeiten, einige von ihnen sogar fünf bis sieben Jahre, um überhaupt mal die Chance eines Debüts zu haben. Ich habe immer gedacht: Klar, die trainieren jeden Tag. Tanzen stundenlang. Singen. Büffeln Choreografien. Aber wenn du selbst drinsteckst und weißt, wie diese Tage gefüllt sind, ist es eine ganz andere Erfahrung. Aber wir hatten die richtigen Leute um uns, die uns jeden Tag den Rücken stärkten, die wollten, dass wir gewinnen, und die uns jeden Tag antrieben.“

Was aber wirklich bewegte, waren die Aussagen über Repräsentation und Zusammenhalt. Damals gingen das Video und die sweete Choreo zu Touch gerade ein wenig viral. Lara hat im Video einen Moment, wo sie sozusagen „full Bollywood“ geht. Hier zeigte sich wieder, wie viele junge Menschen sich in KATSEYE wiederfanden, die eine ähnliche Kultur oder Nationalität teilten. Lara sagte auf die Frage, wie es sich anfühle, als multikulturelle Band eine Art Vorbild für eine offene Welt zu sein: „Wir nehmen diese Rolle mit viel Stolz, Ehre und Respekt an. Wir sehen ja auch, dass wir viele Fans in unseren Kulturkreisen haben und sehr schönes Feedback von ihnen bekommen. Wir sind alle sehr ausdrucksstark und stolz auf unsere Kulturen. Und ich glaube, wir sprechen untereinander immer darüber, dass wir als Kinder gerne eine Band wie uns gesehen hätte. Man will als Kind ja immer eine Art Star-Version von sich selbst in den Medien und in der Unterhaltung gespiegelt sehen, und ich habe das Gefühl, dass einige von uns das nicht hatten, als wir aufwuchsen. Es ist aufregend, nun vielleicht selbst diese Rolle zu spielen. Wir sind sehr dankbar, dass wir das tun können und hoffentlich Menschen dazu inspirieren, ihre Träume zu verwirklichen.“

KATSEYE sind beliebt, weil sie nicht so sind, wie man gehofft hatte

Man verzeihe die lange Vorrede: Aber wenn wir heute erklären wollen, warum KATSEYE gerade von vielen als haltungsstarke Girlgroup gefeiert werden, muss man auch noch mal erzählen, wo sie herkommen. Obwohl es den sechs nicht leicht gemacht wurde, haben sie es in den letzten Jahren geschafft, ein eigenes Profil zu gewinnen. Was ihnen anfangs ehrlicherweise eher abseits der Musik gelungen ist. Zwar waren SIS – Soft Is Strong eine schöne Pop-EP, Touch ein kleiner Hit und My Way sowie Tonight I Might sweete Balladen, aber die Musik war schon ein wenig generisch, weil man sich auf etablierte Pop-Schreiber:innen verließ und es manchmal so wirkte, als hätte man ein paars Songs eingekauft, die schon eine Weile am Markt rumlagen.

KATSEYE im Circle Store:

Aber KATSEYE gewannen auf ihre Weise Format: Wie im K-Pop üblich, absolvierten sie viele Live-Streams auf Plattformen wie Weverse – und sprachen auch da offener, als es Idols dürfen. Viele Streams waren chaotisch, lustig, manchmal grenzwertig – aber dabei unheimlich lustig. Vor allem sah man aber auch, dass sich die Dynamik innerhalb der Band verändert hatte. Hier saß ein wilder Haufen von Freundinnen, die eine ziemlich toughe Zeit hinter sich hatten und nun ihren Shot auf eine Pop-Karriere nutzen wollten.

Irgendwann bekam man das Gefühl, ihr Management hätte dabei kapituliert, ihnen das Fluchen auszutreiben. Oder vielmehr: Man hatte erkannt, dass diese Clips und Szenen viel besser liefen als viele geplante TikToks. Bei YouTube und TikTok gibt es zig witzige Compilations mit Titeln wie „Hilarious recent KATSEYE Moments“.

Der virale Hype um Gnarly und Mean Girls

Die zweite EP Beautiful Chaos, die Ende Juni kam, war in Teilen die musikalische Entsprechung dieser Entwicklung. Die Vorabsingle Gnarly dreht das vorher so sweete SIS-Image auf Links. Sie ist albern, laut, knarzig – „gnarly“ eben. Die Choreo dazu ist ebenso wild wie ansteckend. Der erste Teaser zur Comebacksingle bestand dann auch lediglich aus „Meme“-würdigen Momenten aus KATSEYE Livestreams. Die Reaktionen auf Gnarly? Erst Hate, dann Verwirrung, dann Begeisterung und ein viraler Siegeszug.

Im Moment reden allerdings viele wegen eines anderen Liedes über KATSEYE. Die empowernde Ballade Mean Girls macht sie gerade zu Lieblingen der queeren Community. Dazu muss man wissen: Lara und einige Monate später Megan outeten sich in Live-Clips als bisexuell – auch ein Move, den kein K-Pop-Idol je bringen könnte. 

Es ist vor allem eine Zeile am Ende von Mean Girls, die aufhorchen lässt. Daniela singt dabei: „God bless the T girls / And all the in-between girls“. Was damit gemeint ist, dürfte klar sein: Gott schütze die Trans-Girls und jene, die weder das eine noch das andere sind – also non-binäre Menschen. Der Shoutout ist kein Zufall. KATSEYE trugen kürzlich bei einer Performance Outfits, die von der Drag-Queen Gigi Goode designt wurden, und sie tanzten die Gnarly-Choreografie mit Vivian Jenna Wilson – der trans Tochter von Elon Musk, die mit ihrem Vater keinen Kontakt mehr hat und ihn gerne, laut und lustig kritisiert.

@katseyeworld now that… was so Gnarly @Vivian Jenna Wilson #KATSEYE #KATSEYE_Gnarly #Gnarly ♬ Gnarly - KATSEYE

Lara sagt dazu in einem aktuellen Interview mit dem amerikanischen Rolling Stone: „Wir arbeiten viel mit der Trans-Community zusammen, sei es in der Mode oder in der Musik. Wir sind ständig mit Trans-Frauen zusammen, und wir alle haben viel Liebe und Respekt für sie. Deshalb dieser Shout-Out.“ Was man an dieser Stelle noch mal betonen sollte: KATSEYE leben und arbeiten gerade in Los Angeles, und damit in einem Land, in dem die rechtskonservative Trump-Regierung eine harte und unmenschliche Politik gegen Trans-Menschen fährt und diese juristisch gar nicht als solche anerkennt. In Anbetracht der Tatsache, dass einige KATSEYE-Mitglieder keine amerikanischen Staatsbürgerinnen und damit auf Arbeitsvisa angewiesen sind, ist es durchaus ein Wagnis, diese Zeilen in einer Mainstream-Pop-Produktion zu singen – so traurig diese Tatsache auch ist.

Der Hintergrund des Songtextes ist ebenfalls sehr interessant: Einer der Haupt-Songwriter ist nämlich Justin Tranter – und der ist im Pop-Game eine grosse Nummer. Er schrieb zum Beispiel Lyrics für Sorry von Justin Bieber, Believer und Enemy von Imagine Dragons, Good Luck, Babe! und My Kink Is Karma von Chappell Roan sowie Lieder für Halsey, Selena Gomez, Maroon 5, Yungblud, Cardi B und Gwen Stefanie.

Kaum war Mean Girls draußen und die ersten bemerkten die „god bless the t-girls“-Line, veröffentlichte er einen TikTok-Clip, in dem Tranter erklärte, dass einige andere Künstlerinnen den Track vorher auch haben wollten – allerdings nur, wenn er diese Zeile streicht. Seine Reaktion darauf: „Also habe ich ihnen den Song nicht gegeben. Ich bin ein EYEKON.“

Wer genau den Song haben wollte, hat Justin Tranter zwar nicht verraten, aber dieses Kapitel sagt viel aus über ein Amerika, das gerade von einer extrem konservativen und evangelikal verstrahlten Clique regiert wird – und dafür viel zu wenig Gegenwehr aus der Popkultur kriegt. Dass ausgerechnet KATSEYE sich weiter raustrauen als andere, hatten zumindest ihre Hater nicht auf der Bingo-Karte.

Uns wiederum freut es, denn KATSEYE sind eine Girlgroup, die ein großes Publikum verdient hat – wenn jetzt auch noch die Musik aufholt und man auch da einsieht, dass man die Sechs viel mehr in den kreativen Prozess einbeziehen sollte, dann sind KATSEYE vielleicht endlich so, wie sie sich selbst gerne sehen würden.

K-Pop im Circle Mag: