Lola Young ist anders als die anderen Popstars ihrer Generation. Sie ist nicht brat, sie ist nicht sapphic, sie ist mehr als alles andere sie selbst: unabhängig bis in die zerzausten Haarspitzen, eigenwillig in Sachen Style, Sound und Humor. Das hat sogar den alten Manager von Amy Winehouse aus dem Ruhestand geholt.
Lola Young hat sich selbst erfunden. Und glaubt man dem Titel ihres aktuellen Releases, dann macht sie auch nur für sich selbst Musik: This Wasn’t Meant For You Anyway hat sie ihren offiziellen Major-Einstand genannt, eine zugleich direkte wie trotzige Botschaft. Sie ist nicht da, um uns zu gefallen. Sie singt nicht, um bewundert zu werden. Sie macht das alles nur, um mit dieser ganzen verrückten Scheiße fertig zu werden, die einem im Leben so begegnet. Und auch wenn die Künstlerin aus Londons Süden gerade 23 Jahre zählt: Vom Leben hat sie schon eine Menge abbekommen.
Fleabag als Popmusikerin
Um sich ihr zu nähern, ihrem künstlerischen Wesen, ihrer Philosophie, empfiehlt es sich, ihren Auftritt in der NDR-Talkshow Inas Nacht anzusehen. Im Oktober 2024 ist sie dort bereits zum zweiten Mal zu Gast, singt ihren souligen Tresensong Messy mit Londoner Lässigkeit, Fred-Perry-Poloshirt und sensationeller Vokuhila-Frisur. Das ist anders als das Brat-Pop-Lebensgefühl dieses Jahres, aber nicht minder erfrischend. „London ist ein großer Teil von mir und bestimmt, wie ich lebe und denke“, sagt sie in unserem Interview. „Die Stadt beeinflusst, was und wie ich schreibe. Und ganz allgemein habe ich eh den Eindruck, dass ich auf meinem neuen Album noch britischer geworden bin.“
Dennoch hat ihre Karriere das eine oder andere gemeinsam mit all den anderen neuen mutigen Frauen, die den Pop aufmischen: Es geht zum einen alles sehr, sehr schnell für sie („Ich schreibe aber auch sehr, sehr schnell“, lacht sie im The-Circle-Interview). Erst 2023 landet sie mit dem düster-trippigen Don’t Hate Me einen viralen Hit, fasziniert mit einer klanglichen Aura, die die Straße in sich trägt wie die Sleaford Mods und dennoch den Soul liebt wie Celeste. Ihr Album This Wasn’t Meant For You Anyway schreibt sie allein in ihrem Südlondoner Schlafzimmer. Es erscheint mitten im Brat-Sommer 2024, ist aber viel unapologetischer, britischer und weirder als das meiste andere, das wir dieses Jahr gefeiert haben. Wie Fleabag, nur als Popmusikerin.
Sie singt über ihre schizoaffektive Störung
Zum anderen spricht auch Lola Young über persönliche Herausforderungen und Einschränkungen. Intrusive Thoughts etwa, eine zurückhaltende Ballade, thematisiert ihre schizoaffektiven Störung, die Merkmale der Schizophrenie mit Halluzinationen und Wahnvorstellungen vereint. „Ich versuche, es als Superkraft zu sehen“, sagte sie mal trocken dazu. Wie wir eingangs sagten: Vom Leben hat sie schon eine Menge abbekommen. Sie trägt es aber eben nicht nur mit Fassung, sondern auch mit jenem ganz besonderen schwarzen Humor, bei dem man nicht unbedingt immer sofort weiß, ob man lachen soll. Oder darf.
Die neue Amy Winehouse?
Schnell macht sie die englische Presse zur legitimen Nachfolgerin von Adele und Amy Winehouse. Und Parallelen gibt es tatsächlich: Auch Lola Young ist eine Londonerin, die sagt, was sie denkt, und mit einer großen Stimme bissig über gequälte Beziehungen schreibt; wie Adele und Winehouse hat sie die Brit School besucht. Außerdem steht Young bei Winehouses altem Label Island unter Vertrag und wird von Nick Shymansky gemanagt, der nach Winehouse eigentlich nie wieder jemanden managen wollte. Spricht für sie.
Damit hören die Gemeinsamkeiten aber auf: Lola Young ist in einem viel seltsameren, psychotischen, verwilderten Pop-Garten zuhause, eine verärgerte und über viele Dinge frustrierte junge Frau, die mit narzisstischen Männern abrechnet. Eher rückt sie damit in die Nähe der düster-schillernden Hymnen von Raye, die damit erst kürzlich sechs Brit Awards gewonnen hat. Aber auch das hinkt. Sie ist eben sie. „Manchmal verhalte ich mich wie ein Junge“, ist so einer ihrer Sprüche, die sie im Interview abfeuert, nicht mal selbst hinterfragt, einfach ungefiltert preisgibt.
„Jeder, der mich jemals verletzt hat, denkt, dass diese Lieder von ihm handeln“
Mittlerweile steht fest: London hat einen neuen Star. Der passt zu den schummrigen, schmuddeligen Ecken der Stadt, macht keinen Hehl aus seinen wahren Gefühlen und redet nicht um den heißen Brei herum. Ihr Outro ist eine gut einminütige Spoken-Word-Einlage. In der erklärt sie sich nicht selbst, das würde ihr nicht gerecht werden; aber sie macht zumindest deutlich, warum dieses Album so heißt wie es heißt. „Jeder, der mich jemals verletzt hat, denkt, dass diese Lieder von ihm handeln. Aber um dich geht es hier gar nicht.“
Im Februar 2025 geht sie damit auf Tour – und bringt This Wasn’t Meant For You Anyway nach Köln (15. Februar), Berlin (17. Februar) und Hamburg (18. Februar).