Sie sind das schönste Geschenk, das die 90er und 00er Jahre der Musikwelt bereitet haben: Hidden Tracks. Denn viele CDs und sogar einige Platten offenbaren erst beim Hören ungelistete Titel, die an andere Tracks angehangen wurden oder sich in parallelen Rillen tarnen. Auch im Hip-Hop gibt es immer wieder Hidden Tracks, die vor allem die physischen Alben ein bisschen besonderer machen und auszeichnen. Ein Fan der versteckten Songs und Überraschungen ist auch Tyler, The Creator. Er hat gleich auf mehreren Alben Songs versteckt. Wir werfen einen genauen Blick auf das Album Cherry Bomb und suchen nach musikalischen Gimmicks.
Hidden Tracks scheinen eine ganz besondere Hochzeit in der Rock-Szene gehabt zu haben. Zumindest abseits der frühen 2000er, in denen die Hidden Tracks dank der CD quasi zu jedem Album dazugehörten, gibt es nur überschaubar viele Beispiele in anderen Genres. Bei dem heutigen Versteckstück verschlägt es uns dennoch zum modernen Hip-Hop, und es sitzt eine echte Musiklegende und auch ein ziemlicher Musiknerd an der Produktion: Tyler, The Creator. Für sein 2015er Album Cherry Bomb hat Tyler nicht nur einen, sondern gleich zwei Hidden Tracks (SPECIAL, YELLOW) produziert, die jeweils die A- und B-Seite der Platte erweitern. Auch das ist schon reichlich sonderbar: dass sich 2015 in der Hip-Hop-Szene wirklich noch jemand etwas spezifisch für das Plattenformat ausgedacht hat. Beide Songs hat Tyler, The Creator nicht auf den Streamingplattformen hinzugefügt, sie bleiben also kleine Edelsteine für die Vinyl-Fans. Umso besonderer sind die Tracks.
Tylers Evolution
Cherry Bomb war das dritte Studioalbum von Tyler, The Creator und stellt einen entscheidenden Wendepunkt in seiner künstlerischen Entwicklung dar. Mit Goblin (2011) hatte er seinen düsteren Erzählstil in der Hip-Hop-Szene etablieren können. Vor allem die Single Yonkers – mit ihrem minimalistischen, bedrohlichen Beat und dem ikonischen Musikvideo – machte ihn international bekannt. Darauf folgte Wolf (2013), das noch ein bisschen atmosphärischer daher kam. Mit Cherry Bomb lenkte Tyler, The Creator seine Karriere dann in ganz neue Bahnen und widmete sich auf dem Album chaotischen Soundstrukturen und genreübergreifenden Einflüssen aus Jazz, Funk und Rock.
Ständig ist etwas verzerrt, übersteuert, verrauscht und überlagert. Diese kreative Unberechenbarkeit polarisierte – einige lobten Tylers Ambitionen und Klangvision, andere kritisierten die Überladenheit der Arrangements. Dennoch kann Cherry Bomb als entscheidender Zwischenschritt auf dem Weg zu seinem gefeierten Stilwandel betrachtet werden, der sich auf den Folgealben Flower Boy (2017) und IGOR (2019) manifestierte.
SPECIAL: Der wütende Hidden Track
Der erste Hidden Track ist an THE BROWN STAINS OF DARKEESE LATIFAH PART 6-12 (Remix) angehangen. Der vorangehende Song hat einen übersteuerten Beat und passt musikalisch damit sehr gut zu dem Hidden Track SPECIAL, bei dem Tylers Stimme ebenfalls mit einem knackenden Filter verfremdet wurde und immer wieder übersteuert. Wie in einem Treppenhaus klingt er, und auch der Beat ist teilweise metallisch und blechern. Der Synthesizer im Hintergrund erinnert an Geistergeräusche und voller Hall singt ein kleiner zitternder Chor immer wieder die gleichen drei Noten. So gut wie sich die ersten Takte des Songs in das Album einfügen, so abrupt endet er. Eigentlich hat SPECIAL ein harmonisches Ende, geht ein bisschen auf. Doch die anschwellenden Klänge werden einfach abgeschnitten und der nächste Titel startet, ohne diese aufzunehmen (FUCKING YOUNG/PERFECT).
Ein Lovesong zum Schluss
Das Album endet dann später auf dem Hidden Track YELLOW, der zusammen mit Kali Uchis entstand. Insgesamt ist die Sängerin damit auf drei Songs von Cherry Bomb an Tylers Seite zu hören und taucht auch in seiner weiteren Karriere immer wieder als Featuregast auf. Der Song klingt wie ein verliebter Slowdance: YELLOW ist mit einer langsam gestrichen E-Gitarre untermalt und hat träge, verträumte Drums. Es ist ein wunderbares Liebesduett, das die beiden da abliefern. Gemeinsam singen sie: „It’s like the endless summer, endless summer, Whenever I’m with you, Cause you’re my yellow, yellow, yellow“. Hinzu mischen sich warme Backgroundgesänge, Flöten und Bläser, die dem soften Lovesong eine leichte Neo-Note verleihen. Dabei spielen die Instrumentals eine besondere Rolle, scheinen ganz frei miteinander zu improvisieren und sich ineinander zu verschränken. Es ist regelrecht eine Antithese zu dem harschen Sound und dem aufgekratzten Ton, der Cherry Bomb so auszeichnet – und doch zeigt es die wunderbare Kreativität und Vielfältigkeit von Tyler, the Creator.
Tyler, The Creator hat auf fast all seinen Platten kleine, exklusive Titel eingebaut, die auch wirklich den physischen Musikträgern vorbehalten bleiben. Nicht immer sind es Hidden Tracks, manchmal gibt es auch alternative Versionen von Songs, wie zum Beispiel auf Igor (2019). Hier hat Tyler EXACTLY WHAT YOU RUN FROM YOU END UP CHASING mit dem Song BOYFRIEND ersetzt, der eine längere Version des digitalen Titels ist. Auf seinem letzten Album Chromakopia (2024) hört man auf einer limitierten Vinyl in Thought I Was Dead eine Strophe von Playboi Carti während der reguläre Titel Parts von ScHoolboy Q featured.