
Review: Mit „So Close To What“ zelebriert Tate McRae den Girl-Pop der Zweitausender
popkultur21.02.25
Mit 21 Jahren ist Kanadas große Pop-Hoffnung Tate McRae schon bei Album drei angekommen. So Close To What klingt entsprechend abgeklärt, sexy und selbstbewusst.
Tate McRae ist Hellseherin. Glaubt sie natürlich nicht wirklich, aber irgendwas scheint da schon dran zu sein. „Ich habe schon oft die Zukunft vorhergesagt, und irgendwie sind diese Dinge dann immer auch eingetreten“, sagte sie dem Rolling Stone. Wie 2023, als sie das exakte Ergebnis des Super Bowl 2024 vorhersagte. Wie der Oktopus Paul, nur für Football also.
Es wäre natürlich interessant, wenn wir wüssten, welche Vorhersagen sie für sich und ihre eigene Karriere im jungen Jahr 2025 macht. Denn eins steht fest: Bislang ging es steil nach oben für die Kanadierin. Mit 18 veröffentlicht sie ihr Debüt, mit 19 ist sie ein Star. Sie wird „Kanadas Billie Eilish“ genannt, ein Vergleich, der mehr als nur ein bisschen hinkt natürlich: Bis auf ihr junges Alter haben die beiden Talente wenig gemeinsam. Tate McRae setzt eher eine Reihe ikonischer Popstars fort, die von Madonna begonnen und Britney Spears übernommen wurde: sinnlicher, femininer Pop mit Sex-Appeal, ein Gesamtkunstwerk aus Gesang und Tanz.
Selbstbewusst, sexy, bombastisch
Ihr weichenstellendes drittes Album ist deswegen wenig überraschend ein Tribut an den Girl Pop der frühen Nullerjahre. Natürlich schmeckt man aus ihren Dance-Pop-Hymnen auch ein wenig Taylor Swift heraus, als 2004 geborene Künstlerin ist es schlicht unmöglich, an einer wie Swift vorbeizukommen ohne sich das eine oder andere abzuschauen. So Close To What erinnert manchmal aber auch an die kühne Abgeklärtheit einer Lorde oder die grazile Verspieltheit von Ariana Grande.
Mit 21 hat Tate McRae ihre Heimat Kanada verlassen und sich in New York niedergelassen. Ein Apartment in Lower Manhattan sei ihr „Vibe für 21. Hier passiert die Magie.“ Nicht, dass sie übernatürliche Hilfe braucht: Seit sie den dunklen Schlafzimmer-Pop des Debüts I Used To Think I Could Fly gegen diesen bombastischen, selbstbewussten, sexy Dance-Pop-Sound ausgetauscht hat, läuft es: Die Leadsingle Greedy steigt bis auf Platz 3 der US Hot 100, bald ist der Song zwei Milliarden Mal bei Spotify gestreamt.
Der verwirrende Weg zum Ruhm
Dennoch ist es eher ein Zufall, dass wir jetzt mit So Close To What plötzlich ein komplettes Album vorliegen haben. Der Plan war nämlich eigentlich ein anderer: Sie wollte nur einen neuen Song haben, den sie bei ihrem Headliner-Auftritt im Madison Square Garden im vergangenen August, ihrer ersten Arenashow, spielen konnte: It’s OK I’m OK. Dann kam aber eben eins zum anderen: „Auch wenn es Arbeit ist, fühlt sich das Schreiben wie ein Safe Space an“, erklärt sie. „Der stabile Teil meines Lebens ist der, in dem ich über meine Gefühle sprechen kann. Ich habe das Gefühl, dass es inmitten des verrückten Jahres auf Tour schön war, nach Hause zu kommen und weiter über meine Perspektive zu schreiben, wo ich im Leben stehe.“
Also wurde ein ganzes Album daraus. Das gibt sich selbstsicherer, verfolgt aber unverändert den Kurs sinnlicher Pop-Hymnen, groß produziert, voller Referenzen an die frühen Zweitausender. Sie will sexy sein, aber eben aus freien Stücken. Und nicht weil ein Produzent sagt, dass sie für das nächste Video doch besser eine Schuluniform tragen soll. Gemeinsam mit Kollaborateuren wie Ryan Tedder, Grant Boutin, Emil Haynie oder Lostboy arbeitet sie vergangenes Jahr an den Songs; insbesondere sind es aber Amy Allen und Julia Michaels, die das Album prägen. „Sie sind zwei der unglaublichsten Frauen, die ich je getroffen habe, und gehören zu den besten Songwritern, mit denen ich je zusammengearbeitet habe“, so schwärmte McRae vor einiger Zeit. „Es macht so viel Spaß, die Perspektive eines anderen Mädchens auf Momente in einem Leben zu bekommen, das sich so verwirrend anfühlen kann.“ Höhepunkt ist da fast der Closer Nostalgia, der ganz ohne das große Pop-Besteck auskommt.
„Wann bin ich wirklich zufrieden?“
Konzeptionell arbeitet McRae auf So Close To What das letzte Jahr auf. Das Jahr, in dem sie erwachsen wurde. Das Jahr, in dem sie zum Superstar wurde. Auch das hat sie mit Billie Eilish gemein: Auf Happier Than Ever tat Eilish dasselbe. „Ich stieß immer wieder auf diese Fragen: ‚Worauf arbeiten wir hin? Was ist das Ziel dieser Sache?‘ Denn wenn ich mir immer wieder diese Ziele setze und dann an einen Punkt in meinem Leben komme, an dem ich immer noch nicht mit mir zufrieden bin: Wann bin ich wirklich zufrieden? Das ist eine Endlosschleife, die ich für mich selbst geschaffen habe.“
Zugegeben: Profunde Gedanken wie diese fanden sich in den meisten Girl-Pop-Songs der frühen Nullerjahre nicht. Aber Tate McRae steht eben ebenso für eine neue Generation selbstbestimmter weiblicher Popstars, die in den letzten Jahren das Ruder übernommen haben. Sie ist nicht brat, sie ist nicht brav, sie ist irgendwie ihr eigenes Ding. Und singt auf I Know Love sogar ein Duett mit ihrem Boyfriend The Kid LAROI. Leicht fiel ihr das nicht. „Die Person, die man in einer Beziehung ist, und die Person, die man als Künstlerin im Studio ist, sind unterschiedlich“, sagt sie. „Wir waren ein bisschen nervös, als wir voreinander gesungen haben.“
Eine wie Tate McRae, nervös? Angesichts des doppeldeutigen, hauchigen Pops von So Close To What kann man sich das irgendwie gar nicht vorstellen.