In den Neunzigern waren Pulp für ihre sündigen, sinnlichen Hymnen bekannt, die immer ein wenig zu clever für Britpop waren. Nach 24 Jahren ohne neues Album machen sie auf More einfach damit weiter – älter, weiser, aber immer noch genauso sündig.
In den Neunzigern war es unmöglich, sich dem Sex-Appeal eines Songs wie Common People zu entziehen. Das sinnliche Arrangement, der schlüpfrig-poetische Text, Jarvis Cockers Hauchen und Fauchen… Pulp galten in dieser Zeit zwar als Britpop, waren aber immer mehr als das. Erstens weil sie schon seit den Achtzigern da waren. Und zweitens, weil sie immer schon das waren, was der Brite gern sophisticated nennt. Ein klein wenig cleverer, gebildeter, eleganter eben als die Gallagher-Blokes.
„Das Universum zuckte mit den Schultern und machte weiter“
Und irgendwann… gab es sie einfach nicht mehr. Das roch damals fast nach Kalkül: Nach ihrem Meisterwerk Different Class folgte 1998 mit This Is Hardcore erst ein merkwürdig klaustrophobisches Album, danach mit dem von Scott Walker produzierten We Love Life eine Platte, die die Hörerschar von selbst merklich reduzierte. Danach verschwanden Pulp – und so richtig bedauerte das niemand.
„Das Universum zuckte mit den Schultern und machte weiter“, singt Cocker in der Comeback-Single Spike Island, die im April das Unmögliche möglich machte: Neue Musik von Pulp, nicht nur eine Single, ein Album gar! Mittlerweile sind 24 Jahre vergangen, mittlerweile gibt es Oasis wieder, mittlerweile wissen wir auch, wie grandios die Pulp-Diskografie eigentlich ist. Daran ist auch Jarvis Cocker nicht unbeteiligt, dieser bebrillte Genius der englischen Musik, der 1996 bei den Brit Awards lauthals gegen Michael Jackson protestierte und sogar festgenommen wurde. Mit über 60 ist er so etwas wie Englands vorderster Rock-Poet, mehr und mehr auch Nationalheiligtum.
Scheidungen und Shopping Malls
Butterfly ändert alles
Vor allem aber ist er das einzige verbliebene Gründungsmitglied von Pulp. Niemand kennt die Band besser als er, niemand kann es besser, Rock, Wave, Eleganz und Porno zu grandiosen Songs über die Morbidität des Älterwerdens und die Lage der Nation zu schreiben. More ist voll davon. Er überträgt die Pulp-Trademarks gekommt auf eine andere Lebensphase, ganz ähnlich wie es Blur mit ihrem grandiosen The Ballad Of Darren getan haben. Jetzt ist man, so singt er, „von allem, was man sein könnte, zu allem geworden, was man einmal war“. Bestandsaufnahme in musikalischer Hochform.
Pulp singen von Scheidung, von der Schwierigkeit, im Alter die Liebe zu finden, von Meditationen in einer Shopping Mall. Das klingt oft nach den Sounds von Common People, nur eben nicht mehr als junge, lüsterne, zynische, hungrige Band. Sondern als Alterswerk, das über verpasste romantische Gelegenheiten nachgrübelt, ohne dabei allzu melodramatisch zu sein. Getragen wird das alles, auch das ist nichts Neues, von dieser besonderen Stimme. Jarvis Cocker ist eben Jarvis Cocker. Auch wenn er eine Oper singen oder in einer Death-Metal-Band brüllen würde.
Chanson, Disco, Pop
Zu dieser Stimme baden wir in Melodien, die an französischen Chanson erinnern, die elektronisch unterkühlt sind, mal Richtung Disco schielen und dem großen Pop der Siebziger huldigen. The Hymn Of The North mit Chilly Gonzalez ist vielleicht der Höhepunkt einer Comeback-Platte, die sich nichts beweisen muss und vielleicht gerade deswegen eine der erstaunlichsten Geschichten der englischen Rockmusik fortschreibt, als wäre keine Zeit vergangen. Es ist eben, wie Jarvis Cocker im fantastischen, bittersüßen Grown Ups singt: Ich altere nicht – ich reife nur.
Sagen wir also, wie es ist: Pulp haben eine neue Platte, Oasis spielen Konzerte – der Summer of Britpop ist zurück!