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Foto: Debbie Hickey/Getty Images

Ethel Cains zweites Album „Perverts“: Noise, Leere und Elegien

Ethel Cain erschafft mit ihrem neuen Album Perverts eine karge Landschaft aus Störgeräuschen, Fragmenten und Elegien. Mit ihrem Debütalbum Preacher’s Daughter hat das bewusst wenig zu tun.

Hört hier in Ethel Cains neues Album rein:

Pink Noise

Pink Noise wird physikalisch als „zufälliges Rauschen mit gleicher Energie pro Oktave, das daher mehr niederfrequente Komponenten als weißes Rauschen enthält“ beschrieben. Es kommt oft in der Natur vor, beispielsweise bei Wind- und Wassergeräuschen, und wird häufig in der Audiotechnik und Akustik verwendet. Es kann aber nicht nur natürlich, sondern auch artifiziell und deplatziert wirken – auf viele wirkt es beruhigend, auf andere verstörend. Eben jenes Pink Noise – es ist dumpfer, weniger hell als seine große Schwester White Noise – ist ein zentrales Element auf Ethel Cains zweitem Album Perverts.

Traumreise für die Ohren

Über zwölf Minuten dauert das erste Stück der Platte, der Titeltrack Perverts. Gleich am Anfang durchdringt eine beruhigende, aber gleichzeitig Fragezeichen aufwerfende Gesangsmelodie das Rauschen. Es könnte ein Fragment eines Wiegenlieds sein, aber auch eine elegische Anklage. Schon bald ist es wieder weg, und die Zuhörer:innen stehen in einem Labyrinth aus Noise. Haunted, ohne Orientierung, ätherisch und düster.

Zwölf Minuten später, wir sind beim zweiten Stück Punish angekommen, kommt ein Piano ins Spiel. Diesmal verschwindet es nicht sofort wieder. „Whatever's wrong with me / I will take to bed / I give in so easy / Nature chews on me“, singt Ethel Cain und weiter: „Little death like lead / Poisonous and heavy / It has always been this way / Mm, it has always been this way / I am punished by love“. Nach dieser Elegie kommt wieder Verfremdung: housofpsychoticwomn ist wieder eine Industrial-Noise-Landschaft.

Perverts ist ein Wechselspiel aus diesen beiden Polen: Geräuschorgien wechseln sich mit fragmentenhaften Songs ab – aber egal, in welcher Phase wir uns auch befinden: Perverts stellt die Leere in den Vordergrund, mehr noch: scheint uns mit der omnipräsenten Leere konfrontieren zu wollen. Ethel Cain will uns keine Punkte zum Anhalten geben, sondern einfach einen Sog erschaffen. Anachronistisch und sirenenhaft kann dieser daherkommen, oder auch brutal und nihilistisch.

Krasse Kontraste zum Debütalbum

Ethel Cain stellt hier einen riesengroßen Bruch in die Landschaft. Wir erinnern uns: Mit ihrem Debütalbum Preacher’s Daughter wurde sie zum Alt-Pop-Star. „Wie Lana Del Rey, wenn diese ihren aktuellen Ärger mit einem schlechten Boyfriend durch das Hören der Cocteau Twins und Shoegazing-Bands behandelt hätte“, schrieb der Guardian über ihr Debütalbum. Für Cain folgte eine zweischneidige Zeit. Sie feierte Erfolge mit ihrer Musik, lernte aber auch die Schattenseiten kennen, die auch Chappell Roan 2024 medienwirksam beklagte. Sie würde „wirklich gerne wieder eine kleinere Fanbase haben wollen und dorthin zurückgehen, wo ich eigentlich früher hinwollte“, erklärte sie gegenüber dem Guardian. Sie habe sich wie ein tanzender Affe in einem Zirkus gefühlt, erklärt sie in dem Interview außerdem.

Kommen wir zurück zu Perverts. Nach dem knapp siebeneinhalbminütigen Thatorchia, einer Noise-Sinfonie, die Harmonien und chorale Flächen über das Noise legt, beschließt das neunte Stück Amber Waves das Album. „Before she leaves / Amber waves at me / Days go by, time on without me / I'll be alright, I'll be alright / I take the long way home / Shaking the bottle and letting them roll / 'Cause the devil I know / Is the devil I want“, singt Ethel Cain.


„Miss Alt-Pop-Star zu spielen“, wie sie das einmal nannte, ist auf ihrer Prioritätenliste eindeutig in den Hintergrund getreten. Dafür legt sie mit Perverts ein Kunstwerk von einer Platte hin – zwischen Industrial und American Gothic, drastisch, geräuschhaft, manchmal brutal und beklemmend. Es lohnt sich, sich in den Sog mitreißen zu lassen.

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