K-Pop könnte einen Grammy gewinnen, die KPop Demon Hunters erobern die Welt, die Blackpinks haben solo alles abgerissen, eine Comeback-Tournee von BTS wird nächstes Jahr die Ticketwebsiten zum Glühen bringen – und trotzdem: In Korea sorgen sich gerade viele darum, dass das, was heute als K-Pop verhandelt wird, nach und nach seine koreanische Identität verliert. Außerdem zeigen Zahlen aus dem Heimatland des K-Pop, dass das koreanische Publikum an aktuellen Acts das Interesse verliert. Was steckt dahinter?
Es ist wirklich so: Von außen betrachtet, sieht es so aus, als hätte K-Pop gerade DAS Jahr schlechthin hinter sich. Die oben genannten Erfolge sind real – und international gesehen riecht es nach popkultureller Weltherrschaft. Trotzdem sind die Sorgen begründet, die viele Koreaner:innen und K-Pop-Fans haben.
Fangen wir mit den Grammys an, die wir schon vor einigen Tagen mal thematisiert haben: Die Songs aus KPop Demon Hunters – allen voran das von Ejay, Aurdey Nuna und Rei Ami gesungene Golden – haben gute Chancen auf einen Preis. Auch Blackpinks Rosé könnte mit APT. feat. Bruno Mars punkten. Aber: Beide Songs mögen zwar Idols an Bord haben und nach K-Pop klingen, aber koreanische Worte findet man in ihnen kaum. Der Netflix-Hit ist schließlich eine international ausgerichtete US-Produktion – wenn auch mit vielen koreanischen Elementen – und auch die Blackpink-Solo-Sachen kamen in den meisten Fällen größtenteils ohne koranische Texte aus, weil zumindest Rosé, Lisa und Jennie sehr eindeutig auf dem US-Markt punkten wollten. Viele Popmedien, (vor allem jene, die eher über K-Pop schreiben, weil man das heutzutage tun muss und weil es gut klickt) werfen außerdem auch KATSEYE in den K-Pop-Topf – was schlichtweg falsch ist. Ja, sie sind eine Symbiose aus amerikanischen Casting-Shows und dem K-Pop-Trainee-System und haben mit Yoonchae eine Koreanerin an Bord, aber mehr eben auch nicht. Das ist kein wertendes Urteil – wir lieben KATSEYE. Sie machen nur eben keinen K-Pop.
K-Pop für Zuhause:
Koreanisch vs. Englisch
Das Zunehmen der Anteile englischer Lyrics ist auch in den koreanischen Produktionen zu beobachten – das allerdings schon seit Jahren. Waren englische Ausdrücke erst eher kleine Einladungen an ein internationales Publikum, oder ein Stilelement, das die Nähe zu Rap oder Pop aus den USA und England markieren sollte, ist es nun keine Seltenheit mehr, dass Acts ganze englischsprachige Mini-Alben, einzelne Songs oder englische Versionen koreanischer Songs veröffentlichen.
Der Grund dahinter dürfte klar sein: Die großen koreanischen Produktionsfirmen zielen seit langem auf den verlockenden US-Markt – und hatten seit dem Durchbruch von Blackpink und vor allem BTS großen Erfolg mit der Strategie, auf überwiegend englische Singles zu setzen. Los ging das bei uns in Deutschland und in den USA, als BTS 2020 den komplett englischsprachigen Song Dynamite veröffentlichten. Geschrieben wurde er von David Stewart und Jessica Agombar, produziert von Stewart. BTS selbst, die einige Produzenten und Songwriter in ihren Reihen haben, waren nur als Performer am Start.
Zu der Zeit wusste man hier natürlich schon, wer BTS sind. Immerhin verkauften sie da bereits seit Jahren innerhalb von Minuten Stadien und Arenen auf der ganzen Welt aus und hatten beeindruckende Streamingzahlen. Aber plötzlich hörte man Dynamite eben auch in Bäckereien und in Cafés. Es lief auf den gängigen Formatradiostationen und wurde in Reality-TV-Shows als Hintergrund-Musik genutzt. Die Nachfolge-Single Butter, ebenfalls auf Englisch vorgetragen, war dann gar noch erfolgreicher.
Die beiden Videos zu den Songs zeigen deutlich, was hier los ist: Der Vortrag, die Optik, der bunte Style und vor allem die beeindruckenden Tanz-Performances sind durch und durch K-Pop. Aber die Songs selbst? Eigentlich sind es recht generische, wenn auch ziemlich gute Popsongs angloamerikanischer Prägung, überwiegend entstanden in der klassischen Popmusikschmiede, die von britischen, amerikanischen und schwedischen Songwriter:innen und Produzent:innen dominiert wird.
Was die internationalen K-Pop-Fans lieben, nämlich das Zusammenspiel von koreanischen und englischen Lyrics oder die Referenzen zur koreanischen Kultur, wurde bei Butter und Dynamite schlichtweg eliminiert. Zum „Preis“ eines noch größeren Publikums.
Andere Acts wie zum Beispiel Twice folgten diesem Beispiel. Die Girlgroup, eine der erfolgreichsten Südkoreas, veröffentlichte englische Songs wie The Feels und promotete diese massiv in den US-Medien – auch, wenn nur wenige Bandmitglieder English sprechen. Wobei man an dieser Stelle anmerken sollte, dass es im K-Pop von Anfang an ebenso etabliert war, hin und wieder ganze Alben und Singles für den japanischen Markt in der Landessprache zu produzieren.
Man könnte an dieser Stelle natürlich sagen: Der Erfolg gibt dieser Strategie recht. Andererseits sind zum Beispiel die Stray Kids ein gutes Gegenbeispiel: Sie landen mit ihren überwiegend auf Koreanisch gesungenen und gerappten Alben und EPs seit Jahren verlässlich in den USA auf Platz 1 der Billboard-Charts.
Globaler Pop aus der koreanischen Fusion-Küche
Im vergangenen Jahr schrieb die südkoreanische Journalistin Sohee Kim einen Artikel für Bloomberg mit dem Titel: „Die zehn Milliarden schwere K-Pop-Industrie steht vor einer Identitätskrise.“ Kim erklärt darin zunächst die „Hallyu“ – die „koreanische Welle“, die durch koreanische Filme, Serien, Restaurants und eben K-Pop-Stars die Welt eroberte. Dann schreibt sie: „Südkorea übt auf der ganzen Welt eine ähnliche Faszination aus wie Japan schon seit einer Generation oder länger. Korea ist weit weg, anders, faszinierend.“ Dennoch stellt sie fest: „Aber ich habe auf meinen Reisen auch etwas Neues entdeckt. Jetzt tauchen dort ‘lokalisierte’ Idol-Gruppen auf, eine Art Pop-Version der Fusionsküche.“
Damit meint Sohee Kim Gruppen wie die japanischen, aber in Korea lebenden XG, die bereits genannten KATSEYE oder die schon fast wieder vergessenen Dear Alice – englische Boys, die für eine britische TV-Sendung kurz ins K-Pop-Ausbildungssystem geschubst wurden. Seit Neuestem müsste man auch noch die japanische, in Korea wohnende Boygroup &Team und Girlset in dieser Reihe nennen. Diese US-Girlgroup von JYP Entertainment entstand ähnlich wie KATSEYE nach globalen Castings und hieß zuerst Vcha. Der Weg zur Band war eine Shit-Show, der wir in naher Zukunft auch mal einen Artikel widmen werden. Dennoch kam die erste Single gut an – auch bei K-Pop-Fans.
Verkäufe in Südkorea rückläufig
Man kann den genannten Acts nicht vorwerfen, dass sie quasi den konsequenten Export des System K-Pop verkörpern, aber man versteht, dass viel koreanischen K-Pop-Fans irgendwie das Gefühl haben, ihrem geliebten Genre werde etwas genommen, wenn die Grenzen zu unique koreanischen Acts zusehends verschwimmen und diese Bands augenscheinlich viele Fans abgreifen. Früher brachten BTS junge Menschen dazu, Koreanisch lernen und nach Seoul und Busan reisen zu wollen – als KATSEYE-Fan wird man diesen Impuls vermutlich nicht haben.
Auch die englischsprachige The Korea Times – immer eine gute Adresse für K-Pop- und Korea-News – veröffentlichte vor einigen Tagen einen Artikel mit der Headline: „K-pop thrives overseas but struggles at home“. Die Autoren zeichnen darin die Marktentwicklungen vor Ort nach und merken an, dass digitale Verkäufe und Alben-Exporte rückläufig sind – trotz des vermeintlichen internationalen Hypes. Außerdem sei das Interesse an neue K-Pop-Produktionen messbar weniger geworden. Von „Krise“ wollten die befragten Exptert:innen zwar noch nicht sprechen, aber es könne zu einer werden. Außerdem sei es ein Problem, dass Acts aus kleineren Produktionsfirmen kaum noch die Chance hätten, international zu punkten. Mit Purple Kiss, Weeekly und Everglow haben außerdem drei einst erfolgreich tourende Acts ihre Karrieren noch vor Auslaufen der Verträge beendet.
In Seoul hört man lieber die alten Hits
Die Musikjournalistin Tamar Herman, die den recht guten Newsletter Notes on K-Pop schreibt, erzählt in ihrer aktuellen Ausgabe ebenfalls: „Obwohl ich es in der Vergangenheit immer als eine gute Möglichkeit empfand, beim Spazierengehen durch Seoul zu hören, was gerade angesagt ist, stellte ich auf dieser Reise fest, dass ich eher Musik aus den letzten Jahren als aus diesem Jahr hörte. Selbst wenn ich Musik aus diesem Jahr hörte, oft an den touristischsten Orten für K-Pop-Fans, waren die wenigen Veröffentlichungen aus dem Jahr 2025, die mir mehr als einmal auffielen, Ceremony von Stray Kids, Do the Dance von ILLIT, Like Jennie von Jennie und XOXZ oder Attitude von IVE […]. Was mir auffiel, war, dass es vor allem viele ältere Hits gab, sei es aus dem Jahr 2024 oder 2014, die immer noch gespielt wurden. Ich fragte mich, ob es daran liegt, dass die Aufspaltung der Monokultur dazu geführt hat, dass es in diesem Jahr keinen wirklichen Konsens über die Hits im K-Pop gibt, oder ob die Musik einfach nicht so gut ankommt? Ich bin mir selbst nicht sicher, aber auffällig war, dass die mit K-Pop in Verbindung stehenden Songs, die für den Grammy in den USA nominiert sind, fehlten.“
Es sind also vielleicht eher all die hier genannten, vereinzelten Symptome, die zu Artikeln wie diesem und Headlines wie „Wackelt das K in K-Pop“ führen, aber eines ist auf jeden Fall klar: K-Pops internationaler Siegeszug hat seinen Preis – und es scheint, als würden den vor allem die koreanischen Fans und der mittelgroße bis kleine Part der koreanischen Musikindustrie zahlen.