Ihre Musik ist elektronisch, ihre Attitüde Punkrock. Doch ihren Durchbruch feierten Deichkind mit einem Hip-Hop-Track. Am 7. Mai 2000 erschien Bon Voyage und schickte die Hamburger auf eine Reise, die bis heute andauert. Hier lest ihr, was ein 1979er Chevrolet und eine Truppe Cheerleader damit zu tun haben.
Hamburg, das sind Reeperbahn, Hafen und Fischmarkt. Eine jahrhundertealte Hansestadt direkt an der Elbe. Doch da gibt es auch noch die Randbezirke. Hamburg-Bergedorf zum Beispiel, eingemeindet 1934. Wenn man dort zum Einkaufen „in die Stadt“ fährt, ist damit nicht die Hamburger City gemeint, sondern der Bergedorfer Ortskern. Es ist der Stadtteil, in dem Philipp Grütering alias Kryptik Joe, Malte Pittner und Bartosch „Buddy Buxbaum“ Jeznach aufwachsen, bereits als Pubertierende zusammen rumhängen – und in dem sie ihre Band Deichkind gründen. An eine jahrzehntelange Karriere an der Spitze der deutschen Charts denken sie damals wohl noch nicht – doch nur wenig später weist ihnen ihre erste Single Bon Voyage den Weg.
Bon Voyage: Deichkind und ihr Durchbruch
Wer Deichkind für neuere Hits à la Leider geil und Luftbahn liebt, mag beim Hören von Bon Voyage überrascht sein. Denn hier gibt’s weder pumpende Elektrobeats noch verträumte Popmelodien. Bon Voyage ist deutscher Hip-Hop, wie man ihn aus der Hamburger Szene Ende der Neunziger kennt. Dafür steht auch Gast-Rapperin Nina Tenge, die in der damaligen hanseatischen Szene einen guten Ruf genießt und regelmäßig in einschlägigen Hamburger Clubs zu sehen ist. Als sie im gleichen Laden arbeitet wie Deichkind-Mitglied Buddy, quatscht er sie an und fragt, ob sie für einen Track zu haben wäre. „Die Jungs haben mir den Beat gezeigt“, erzählt sie in einem Interview mit VIVA. „Und wir haben gesagt: Okay, dann schicken wir die Leute mal auf ‘ne Reise.“
„Fette Beats kommen in dein Ohr wie Q-Tips“, heißt es im Text von Bon Voyage, der Genre-gerecht dick aufträgt. Oder: „Die Beats treiben, wie Cowboys Rinder in Texas“. So ganz ernst nehmen sich Deichkind damals nicht; ihre Musik hingegen schon. So produzieren sie ihre Tracks zum Beispiel teilweise mit echten Instrumenten statt mit Synthesizern, weil das dynamischer klingt. Sie loten die Grenzen des Hip-Hops aus, zu einer Zeit, in der das Genre in Deutschland (und deutscher Sprache) rasant an Popularität zunimmt. Überall nehmen damals junge Newcomer das Mic in die Hand und rappen drauflos. Deichkind sind mittendrin und ebnen sich schnell ihren Weg aus Bergedorf heraus.
Lowrider und Cheerleader: Das Musikvideo zu Bon Voyage
Im Musikvideo zu Bon Voyage gibt es nicht nur Deichkind und Gast-Rapperin Nina zu sehen, sondern auch einige schicke Lowrider, darunter einen 1979er Chevrolet Monte Carlo mit Stroboskop-Scheinwerfern. Zur Verfügung gestellt werden die Wagen freundlicherweise von den „Mad Amigos“, die ihre Schmuckstücke im Holzfäller-Dress und mit Vokuhila-Frisuren zum Set liefern. Außerdem engagieren Deichkind für den Clip eine Truppe Cheerleader, die zwischendurch zu sehen ist. Das war es aber auch schon fast mit der Planung. „Früher ist man zu einem Videodreh gekommen und wusste eigentlich gar nicht so richtig, was man machen sollte“, erklärt das einzige verbliebene Deichkind-Gründungsmitglied Philipp Grütering im Jahr 2020 im Interview mit Diffus.
Nach der Veröffentlichung am 7. Mai 2000 steigt Bon Voyage am 22. Mai auf Platz 21 der deutschen Singlecharts ein. Drei Wochen später erreicht der Track mit Platz elf seine höchste Platzierung. Das dazugehörige Album Bitte ziehen Sie durch kommt am 29. Mai 2000 raus und platziert die Hamburger Hip-Hopper endgültig auf der deutschen Musiklandkarte. Es ist die erste Duftmarke einer Gruppe, die Jahre später die größten Hallen des Landes füllen soll. Deichkind? Eine Abriss-Garantie. Zu hören ist der Stilwandel bereits auf ihrem zweiten Album Noch fünf Minuten Mutti (2002). Denn darauf befindet sich der erste Track, in dem die Band auf ihren späteren Elektro-Trademark-Sound setzt: Limit. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.