Unsere Welt wird immer komplexer, wir müssen immer mehr Gegensätze, Widersprüche und Ambivalenzen aushalten. Eine Band wie HEALTH ist ein Symptom dieser Zeit, in der einfache und eindeutige Antworten und Definitionen schlicht nicht mehr genügen: depressiv, albern und horny, irgendwo zwischen Weeb-Memes und Mental Health Awareness schmachtet sich das Trio aus L.A. seit nunmehr fast 20 Jahren durch dystopische Cyberpunk-Welten und ist mit seinem scherzhaft Cum Metal gebrandmarkten Ausnahmesound gerade erfolgreicher denn je.
Die Kings Of Collabs, die unter anderem schon mit Nine Inch Nails, Poppy und JPEGMAFIA zusammengearbeitet haben, veröffentlichen nun ihr neues Album Conflict DLC – diesmal ohne Features, dafür aber mit dazugehöriger Remix-Reihe mit Beiträgen von Deathbyromy und Lil Texas.
Es ist mal wieder ein Album für die Außenseiter:innen, für die, die in der Kälte dieser Welt keinen warmen Platz finden. Wir sprachen mit Sänger und Gitarrist Jacob Duzsik über künstlerische Egos, neuen Erfolg im Metal und darüber, wie es so ist, wenn die Fanbase jünger ist als die eigene Band.
Conflict DLC ist so etwas wie eine Weiterführung des Vorgängeralbums Rat Wars. Wie sind diese beiden Alben verbunden?
Thematisch gesehen sind unsere Alben ziemlich stark miteinander verbunden. Wir haben mit der Idee gespielt, ein Doppelalbum zu machen, sind dann aber zu dem Schluss gekommen, dass Doppelalben im Grunde nur die Musiker:innen selbst begeistern. Das ist natürlich nur eine subjektive Meinung, aber von allen Doppelalben, die es gibt: Wie viele mussten wirklich Doppelalben sein? Ich denke, da geht es vor allem um Narzissmus, Eitelkeit und die Unfähigkeit, seine eigenen Lieblinge oder Songs zu opfern. Es ist für Künstler:innen oder Musiker:innen sehr verlockend, die These zu vertreten: „Ich habe all dieses fantastische Material, das jeder hören muss“, aber aufgrund der aktuellen Content-Ökonomie bringen Fans nicht unbedingt die gleiche Geduld auf. Unsere Aufmerksamkeitsspanne ist komplett zerstört worden.
Also habt ihr euch gegen ein Doppelalbum entschieden.
Sozusagen. Das Schwierigste beim Produzieren eines Albums ist für uns, dass wir immer wieder versuchen, eine große Veränderung in der Produktion oder Ästhetik des Sounds zu erreichen, damit man keins unserer Releases miteinander verwechseln kann, weil sie nach völlig unterschiedlichen Produktionswelten klingen. Die Klangpalette ist anders, der Mix ist anders. Bei den Dead Kennedys oder Tom Petty ist das vielleicht nicht unbedingt so – da könnte ein Song auf diesem oder jenem Album sein.
Das Wichtigste bei diesem Album war, dass wir wirklich zufrieden waren mit dem, was wir kreativ im klanglichen Universum von Rat Wars erreicht hatten. Wir hatten noch Songs übrig, von denen wir dachten, dass sie eine erweiterte Ausgabe oder eine EP mit sechs Songs ergeben könnten – oder eben ein Doppelalbum. Wir dachten uns aber, anstatt ein Doppelalbum zu veröffentlichen, könnten wir doch einfach ein weiteres Album herausbringen, das eine Art Schwesteralbum ist. Beide Alben werden dann schließlich zu einem Box-Set auf Vinyl zusammengefasst, deswegen sind die Seiten auch durchgängig mit A, B, C, D benannt. Das Wichtigste ist meiner Meinung nach, dass alles im gleichen ästhetischen Raum existiert, anstatt zu sagen: Okay, es sind vier Jahre vergangen, hier ist ein neues Album, wir haben eine völlig neue Richtung eingeschlagen. Das ist nicht der Fall. Es gibt aber Unterschiede: Das neue Album ist schneller. Es gibt mehr Gitarren, und ich finde, insgesamt macht es etwas mehr Spaß und ist etwas songorientierter, wohingegen Rat Wars meiner Meinung nach viele experimentelle, eher albumorientierte Tracks enthält.
HEALTH im Circle Store:
Das neue Album hat definitiv eine härtere Metal-Kante als zuvor. Ist das vielleicht auch ein Zeichen der Zeit, dass gerade mehr Aggression in der Luft liegt?
Oh, ich glaube definitiv, dass jeder das, was gerade in seinem Leben passiert, osmotisch in seine Kunst einfließen lässt. Die Menschen sind definitiv aggressiver und frustrierter, und das ist ironischerweise leider ein Vorteil für unsere Band, da wir schon immer Musik in diesem Stil geschrieben haben. Ich habe in meinen Texten immer wieder Dinge zum Ausdruck gebracht, die mich beschäftigt haben, und jetzt scheint es, als seien diese Themen – Unruhe, Frustration und existenzielle Ängste – für alle Menschen zu einer viel größeren Herausforderung geworden als zuvor. Das ist also ein Teil davon.
Ein weiterer Teil ist meiner Meinung nach, dass wir historisch gesehen aus der Underground-Szene kommen und zwar keine Indie-Rock-Band waren, aber dennoch Teil der Indie-Rock-Landschaft, was die Festivals angeht, auf denen wir gespielt haben, die Art von Presse, die wir gemacht haben und solche Dinge. Ein Großteil unserer Ästhetik hat sich in dieser Zeit verändert, auch wenn wir im Grunde genommen eine Noise-Band waren, aber wir haben auf der Rat Wars-Tour viele Metal-Festivals gespielt, bei denen wir noch nie zuvor waren, wie Graspop und Hellfest oder das Knotfest in Australien. Ich schreie nicht, ich heize die Menge nicht an mit Sprüchen wie „Was geht, Motherfucker?“ – du weißt schon, solche Sachen. Aber wir konnten definitiv sehen, dass das funktioniert, es aber auch richtig toll wäre, wenn wir vielleicht noch etwas mehr Tempo und etwas mehr kinetische Energie in die Musik bringen könnten. Ich denke, das ist ein weiterer Grund, warum ein Teil dieser neuen Songs etwas aggressiver ist: Wir wollten auch ein bisschen mehr Spaß damit haben. Die Musik ist schon ziemlich düster und deprimiert, also ist es vielleicht kathartisch, sie ein bisschen aufzupeppen und sich selbst ein bisschen Spaß zu gönnen.
Insofern hat euch die Live-Erfahrung auch beim Schreiben der neuen Songs beeinflusst?
Auf jeden Fall. Das ist eine weitere wichtige Sache für mich, über die wir in der Band und mit dem Label viel diskutiert haben. Jede Routine im Leben, von der alltäglichsten bis zur scheinbar erhabensten muss regelmäßig stattfinden. Das gilt auch für Kreativität. Bands haben einen Schreibzyklus und einen Albumzyklus, und die sind stark voneinander getrennt. Das hängt natürlich etwas von der Band ab, aber früher war das nicht so sehr der Fall: Led Zeppelin konnten den größten Teil von Led Zeppelin II beim Jammen während ihrer Soundchecks schreiben. So schreiben wir keine Musik. Ich bin der Letzte, der sich darüber beschweren möchte, wie anstrengend Tourneen sind. Auch wenn es anstrengend ist, ist es ein ziemlich toller Job – der Job, den ich immer machen wollte. Aber er ist nicht sehr förderlich für die Kreativität. Man ist müde, man ist ständig unterwegs. Ich glaube, was dann passiert, ist, dass man diese wirklich zusammenhanglosen Zeitblöcke hat. Bands sind mit einem Album oft zwei Jahre live unterwegs, je nach Erfolg des Albums noch länger, und dann kommen sie von diesem Tourzyklus nach Hause und sind total fertig. Bis man wieder anfangen kann, Musik zu hören, haben sich die kreativen Impulse schon auf etwas anderes verlagert, und man ist wirklich weit entfernt von den Gesprächen und dem Austausch, den man mit seinen Fans hatte.
Ihr legt also Wert auf dieses direkte Feedback, was funktioniert und was nicht?
Das ist für mich das Wichtigste: Wenn man mit einem Album auf Tour ist, sieht man seine Fans von Angesicht zu Angesicht. Man erlebt und kommuniziert mit ihnen, welche Songs auf dem neuen Album sie emotional angesprochen haben, wie sie darüber denken und welche Teile davon ihnen besonders gefallen. Das ist für einen kreativen Menschen sehr erfrischend und anregend. Natürlich gibt es auch Leute, die sagen: „Es ist mir egal, was die Leute über meine Musik denken. Ich schreibe Musik nur für mich selbst.“ Ich denke, meistens ist das ziemlich unrealistisch und nicht sehr ehrlich, denn wenn es dir egal wäre, würdest du die verdammte Musik nicht veröffentlichen, sondern sie einfach für dich selbst schreiben und dann in einem Tresor aufbewahren. Für mich ist es einfach das Beste, so schnell wie möglich wieder kreativ zu werden, denn so ist alles noch frisch und du verlierst nicht deine Routine, deine Verbindung. Ich wollte ehrlich gesagt, dass dieses Album schon ein Jahr nach Rat Wars herauskommt, aber als wir dann mit dem Schreiben anfingen, wurden wir unweigerlich davon mitgerissen, neue Ideen zu erforschen und wollten alles immer noch besser machen.
Eure Entwicklung der letzten Jahre ist sowieso interessant: Da fallen nicht nur Metal-Events auf, sondern auch ein sehr junges Publikum. Einige Fans, die man live sieht, waren vermutlich noch nicht mal geboren, als ihr vor knapp 20 Jahren angefangen habt. Wie fühlt sich das an?
Wir empfinden nichts als unglaubliche Dankbarkeit, dass wir das überhaupt noch machen dürfen. Und ich finde, dass es ein seltsamer Moment ist, weil es so viele Bands gibt, die gerade diese Erfahrung machen. Die Generation, aus der ich komme, hat Musik in Lagerhallen oder DIY-Locations gespielt, und die Vorstellung, dass eine ältere Person auf der Bühne steht, selbst wenn sie erst 30 war, war so: „Was zum Teufel macht der Typ auf der Bühne? Das ist ekelhaft. Schafft ihn weg, das ist nicht cool.“ Jüngere Leute heute sind in der Hinsicht überhaupt nicht altersdiskriminierend. Wir haben gerade eine Tour mit Pierce The Veil beendet und diesen Sommer mit Deftones bei ihrem Headliner-Konzert in London gespielt. Und das sind Bands, die genauso alt sind wie wir – im Fall von Deftones sogar älter. Eine Band, die um 1990 herum gegründet wurde, und die ersten 10.000 Kids im Publikum sind 17 oder so. Ich denke, es normalisiert sich immer mehr, dass junge Leute sich einfach für Ästhetik und Style interessieren, sich das herauspicken, was ihnen aus verschiedenen Epochen gefällt, und sich damit verbinden, ohne den Druck, irgendwo reinpassen zu müssen. Es ist einfach eine interessante Zeit, denn wenn man in den 90ern aufgewachsen ist und 20 Jahre zurückgeblickt hat, gab es keine dieser Bands mehr, die Konzerte gaben. Es ist so, als hätte man da gesagt: „Ich mag The Doors“, aber Jim Morrison war halt schon tot.
Es ist eine sehr seltsame Erfahrung. Ich weiß nicht, wie ich meine Gefühle dazu anders ausdrücken könnte als einfach nur mit Glück. Es scheint, je länger man im Unterhaltungsbereich tätig ist, desto mehr wird einem klar, wie viel davon einfach nur verdammtes Glück ist. Es hilft natürlich, eine gute Band zu sein. Aber nehmen wir zum Beispiel Deftones: eine großartige Band mit einem fantastischen Werk. Sie sind endlich größer als je zuvor. Dass sie eine klassische Band für eine neue Generation geworden sind, hat aber nichts damit zu tun, wie gut ihre Musik ist – sowas passiert einfach nicht mehr ohne TikTok. Genauso wie man zurückgehen könnte zu den Beatles, die bei Ed Sullivan auftraten. Es gibt all diese Dinge, die außerhalb deiner Kontrolle liegen, und du musst schlicht dankbar sein.
Wo wir schon von TikTok sprechen: Ihr befasst euch sehr mit der zerstörerischen Natur unseres digitalen Zeitalters, damit, wie wir doomscrollend in unseren Untergang stürzen. Gleichzeitig kenne ich keine andere Band, die so terminally online ist wie ihr. Wie passt das zusammen?
Ich denke, es ist ziemlich realistisch. Die meisten Menschen, die sich bewusst sind, wie destruktiv der 24-Stunden-Nachrichtenzyklus, unsere Smartphones und sozialen Medien sind, sind auch den ganzen verdammten Tag lang am Doomscrollen. Wir alle tun das. Ich habe mich lange dagegen gestrebt, Telefontechnologie oder solche Dinge in Songs zu erwähnen, weil es mir viele Jahre lang so vorkam, als wäre das die Domäne der Popmusik. Es ist etwas eher Kitschiges oder Wegwerfbares, da kommen dann so Zeilen wie „Kiss me through the phone“ oder „Call me“. Aber mittlerweile denke ich mir: Wie kann man das nicht erwähnen? Das wäre einfach nicht realistisch. Es würde so gar nichts mehr mit dem zu tun haben, wie die Menschen ihr Leben tatsächlich erleben. Ich muss aber betonen, dass ich zwar derjenige bin, der die Texte schreibt, aber John derjenige ist, der all unsere sozialen Medien betreibt –das ist anderes Level an Brainrot. Ich habe keine persönlichen Social-Media-Profile, aber ich bin trotzdem ein verdammter Telefonjunkie, so sehr ich mich dafür auch hasse.
Ich habe neulich mit einem Freund darüber gesprochen, wie man versucht sich daran zu erinnern, wie man war, bevor man ständig am Handy hing. Es ist, als würde man versuchen, sich an jemanden zu erinnern, bevor er einen Schlaganfall oder einen Unfall hatte und dadurch seine Fähigkeiten verloren hat. Wenn man jetzt zurückblickt, denkt man: „Wie zum Teufel habe ich als Kind nur herumgesessen und mich gelangweilt und andere Teile meines Gehirns benutzt?“ Es ist, als würde man versuchen, sich an jemanden zu erinnern, der nicht mehr da ist. Das ist sehr beunruhigend.