Review: „Small Changes“ von Michael Kiwanuka ist pure psychedelische Soul-Therapie
popkultur22.11.24
Mit Anleihen bei Pink Floyd, Mazzy Star, Seventies-Soul und Madrugada brilliert Michael Kiwanuka auf seinem vierten Album Small Changes. Es ist die große Bestandsaufnahme eines großen Künstlers.
Würde man mutmaßen, welche Musik Michael Kiwanuka während des Entstehungsprozesses von Small Changes privat gehört hat, man würde auf Pink Floyd, Mazzy Star und Madrugada tippen. Mit viel Lust an ausufernder Psychedelika, an getragenen, dichten Texturen und warmem, gern nachdenklichem Gesang begibt sich der Nordlondoner Soul-Könner auf eine beschwörende Reise zu sich selbst.
Englische Melancholie
Die ausladenden Arrangements, die schleppende, oftmals beinahe träge Rhythmik führt direkt zurück zu seinem großen Durchbruch Love & Hate, zu diesen barocken Neo-Soul-Studien, ausstaffiert mit Chören, Streichern und viel englischer Melancholie. Dennoch ist dieser Michael Kiwanuka acht Jahre später ein anderer. Sein Seelentacho hat mehr Meilen, sein Herz hat mehr mitgemacht, im Guten wie im Schlechten. Davon kündet letztlich schon der leicht ironische Albumtitel: Small Changes waren das nämlich nicht gerade, was da so in seinem Leben passiert ist.
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Fünf Jahre sind seit Kiwanuka vergangen, fünf lange Jahre, in denen der Engländer oft und offen über seine Angstzustände gesprochen hat. Mittlerweile ist er 37, hat London gegen Englands Südküste eingetauscht und ist Vater zweier Kinder. Da denkt man anders über gewisse Dinge. Er singt darüber, ein besserer Partner zu sein, hofft, eines Tages weniger an sich selbst zu zweifeln, klingt dabei oft so selbstvergessen und weltfern, dass man ihn sich förmlich vorstellt, wie er mit gerunzelter Stirn an der Küste sitzt und dem Wind diese Worte entgegensingt.
Stilvolle Klagelieder
In anderer Weise ist Small Changes aber geradezu ein perfekter Titel für dieses einnehmend schöne Album: Es sind eher die subtilen, die mikroskopischen Änderungen, die seinen Sound vorwärts tragen. Und warum auch nicht, schließlich hat Kiwanuka seinen Stil längst gefunden. Jetzt kann er sich darauf konzentrieren, ihn zu perfektionieren. Der langsame, wallende Opener Floating Parade ist ebenso verträumt wie verloren, hier hört man die Arbeit mit Produzent Danger Mouse fast am deutlichsten heraus. Die beiden kennen sich seit Jahren und haben längst ihren idealen Modus operandi gefunden.
Ein wenig fährt Kiwanuka auf Small Changes die Opulenz zurück, gibt sich fokussierter, reduzierter, nur um im richtigen Moment doch wieder richtig aufzutragen. Sein warmer, holziger Klang steht genau da, wo er stehen soll, die Grooves sind von meisterlicher Eleganz, die Basslinien von zeitlos-blubbernder Anmut. Und mehr nach den Siebzigern klangen seine sanften, üppigen Streicher auch noch nie. Neben dem zweigeteilten Low Down ist es dann aber vor allem der Closer Four Long Years, der lange nachhallt. Inspiriert von Mazzy Stars verträumter Shoegaze-Hymne Fade Into You, ist das hier die stilvollste Form eines Klagelieds mit Tremolo-Gitarre und einer Melodie, die sich wie Rauch windet.
Ein Album wie Balsam
Small Changes ist ein universales Album über Zweifel, Schmerzen und Ängste. Es mag Michael Kiwanukas ganz eigener Seelenstriptease sein. Es scheint aber auch zu wissen, dass es uns allen ähnlich geht. Deswegen tut es so gut: Weil es gar nicht behauptet, dass alles gut wird. Sondern weil es uns mit unserem Schmerz nicht allein lässt. Und manchmal reicht das.