Erykah Badu: Mutter des Neo-Souls und mystische Geburtshelferin einer neuen Generation
popkultur25.02.21
Erykah Badu ist keine Person – sie ist eine Erscheinung. Der Mitbegründerin des Neo-Souls gelingt es schon seit Beginn ihrer Karriere, auf transzendentale Weise über jeder Kritik zu schweben, egal, ob es dabei um ihre Musik, ihren Look oder ihre Weltsicht geht. Ihre kompromisslose Liebe zur Kunst hat sie in den letzten Jahrzehnten zur Geburtshelferin vieler Nachwuchskünstlerinnen wie Solange Knowles, SZA oder Ari Lennox werden lassen, die sich von Badus unvergleichlichem, vielschichtigen Gesang inspirieren lassen.
von Sina Buchwitz
Hört hier die größten Hits von Erykah Badu:
Rau. Mühelos. Verspielt. Es gibt viele Adjektive, die Erykah Badus Stimme und ihr Auftreten gleichermaßen beschreiben. Als die Texanerin 1997 mit Baduizm ihr Debüt gibt, erreicht es in weniger als vier Wochen Platinstatus: Die Musikwelt ist von ihrem funkigen Soul und ihrem exzentrischen Gesang verzaubert. In ihren Songs erzählt sie zu skizzenhaften Melodien wortreiche Geschichten in einer Geschwindigkeit, die bis dahin vor allem Rappern vorbehalten war.
Himmelhohe Harmonien und beißender Sarkasmus
Diese Storys, die auf dem ersten Album teils noch wirr erscheinen, sprechen auf dem zweiten Album Mama’s Gun (2000) eine deutlichere, wenn auch nicht weniger dicht gepackte Sprache. Es sind Titel wie der 10-minütige Fan-Favorit Green Eyes, die Badus Kombination aus cleveren Lyrics und unverkennbarem Gesangsstil zu ihrem Vermächtnis werden lassen.
Sanft verpackt die Sängerin hier ihre Lyrics in himmelhohe Harmonien, die sie um eine jazzige Produktion wickelt. Wer auf den Text achtet, wird jedoch schnell dem beißenden Sarkasmus gewahr, der Badus eigentliche Eifersucht über die neue Liebschaft ihres Ex-Partners freilegt. In den kommenden Jahren wird ihr emotionaler, genuiner Gesangsstil häufig mit Billie Holiday verglichen und unzählige Male adaptiert.
Are you afraid of change?
Auch, als der R&B Anfang der 2000er einen heftigen, kommerziellen Boom erlebt, lässt sich die „Mother of Neo-Soul“ nicht beirren. Ihr drittes Album Worldwide Underground, auf dessen Cover der Satz „Neo-Soul is dead, Are you afraid of change“ prangt, beherbergt Titel wie das 10-minütige Kernstück I Want You. Kritiker*innen loben sie für die „unkommerziellste R&B-Veröffentlichung“ des Jahres.
In (bisher) 24 Jahren Karriere veröffentlicht Erykah Badu nur sieben Alben. Dennoch gelingt es ihr, ein ganzes Genre zu definieren und Künstler*innen bis heute zu beeinflussen. Diese Autorität rührt nicht zuletzt aus ihrem wertfreien, aber messerscharfen Blick auf die Veränderungen in der Musikwelt. So staunte zum Beispiel der junge Produzent Zach Witness nicht schlecht, als Badu 2015 nach einem Gespräch über Instagram plötzlich für eine spontane Zusammenarbeit auf seiner Matte stand. Heraus kam ein Mixtape namens But You Can’t Use My Phone, das Drakes Mammut-Erfolg Hotline Bling in insgesamt elf Songs auf kreative Weise wiederverwertet. Zach bezeichnet die Künstlerin seitdem als zweite Mutter.
Badu, die Geburtshelferin
Mutterschaft spielt in Badus Leben und künstlerischem Schaffen von Beginn an eine große Rolle. So inspiriert sie nicht nur junge Musiker*innen zu einer Gesangskarriere, sondern ist auch selbst Mutter von drei Kindern. Ihr Sohn Seven, der aus ihrer Beziehung mit dem Künstler André 3000 stammt, wurde im Dezember 1997, zeitgleich mit Badus Debütalbum, geboren. Der Spagat zwischen Familie und Karriere scheint ihr jedoch nie schwer gefallen zu sein: „Aufgewachsen bin ich unter Müttern, unter starken Frauen. Ich komme aus einer langen matriarchalen Traditionslinie“, sagt sie in einem Interview.
Diese weibliche Energie gibt sie seit geraumer Zeit auch an andere Frauen weiter. Als Doula begleitet sie werdende Mütter bei der Geburt; bereits mehr als 40 Frauen hat sie so emotional unterstützen können. „Es ist einfach, eine Schwangere zu finden, die mich braucht. Es passiert einfach. Ich habe Geburten zuhause, in Krankenhäusern und im Wald begleitet. Es kommt ganz auf die Person und ihre Geschichte an. Es ist so, wie Bruce Lee sagt: Sei Wasser und ohne Form“, erklärt Badu 2018 in einem Interview mit Vulture.
Badu, das mystische Einhorn
Es ist der Hang zum Mysteriösen, das Ungreifbare, das einige ihrer Anhänger*innen dazu verführt, Badu zur mystischen Figur zu stilisieren. Ihre Präsenz habe eine magisch-verwirrende Wirkung auf Männer, erzählt man sich. Badu füllt diese Rolle nur zu gern aus: Auf Konzerten huldigt sie stets den Kindern Afrikas, treibt mit einem Bündel Ähren die schlechten Energien aus und schmückt ihr Heim mit unzähligen Heilkristallen und Buddha-Statuen.
Im Interview erklärt sie mit einem Augenzwinkern: „Manche Leute reden über mich, als wäre ich eine Sexgöttin, ein magisches Geschöpf, ein Einhorn. Das ist zum Teil das, was Menschen von mir wahrnehmen. Ich empfinde das nicht als Abwertung. Selbst wenn es da mal eine sexistische Komponente gibt – ich finde das alles höchst amüsant. Es heißt, dass man machtvoll ist. Auf liebevolle Weise.“
Badu, die Kompromisslose
Diese mütterliche, radikal bedingungslose Liebe wurde der Sängerin in der Vergangenheit schon mehrfach zum medialen Verhängnis. Ihr offen bekundetes Mitgefühl für Figuren wie R. Kelly oder sogar Hitler stößt trotz Badus Erklärungsversuchen auf wenig Verständnis: „Ich bin eine Beobachterin, die gute und schlechte Dinge erkennt. Wenn man dann etwas Gutes über jemanden sagt, denken die Leute, man hätte sich für eine Seite entschieden. Ich entscheide mich aber für keine Seite. Ich sehe alle Seiten gleichzeitig.“
Der aktuell vielverwendete Begriff der „wokeness“, der ein erhöhtes Bewusstsein für gesellschaftliche Missstände und Rassismus bezeichnen soll, wurde durch Badus Song Master Teacher erst popularisiert, bevor er ein Eigenleben entwickelte. Für die Sängerin bedeutet er „einfach, auf alles zu achten, sich nicht auf die eigene Sichtweise oder die eines anderen zu verlassen, zu beobachten, sich weiterzuentwickeln und Dinge zu eliminieren, die sich nicht mehr weiterentwickeln. Es bedeutet nicht, andere zu verurteilen.“ Eben ein (zu) milder Blick auf die Dinge, wie ihn nur die kompromisslose Liebe einer Mutter zustande bringen kann.
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