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Foto: Tiffany Rose/Getty Images for HIM Training Camp

Wie die Filmmusik von „HIM“ den Soundtrack revolutioniert

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Was ist die Rolle von Filmmusik? Möglichst unauffälliges Hintergrundgeplätscher oder wichtiger Teil der gesamten Inszenierung? Der bahnbrechende Soundtrack des Sport-Horrorfilms HIM zeigt mal wieder, wie viel die richtige Musik für einen Film tun kann – und dass sie im Idealfall auch als eigenständiges Album funktioniert.

Spätestens mit Quentin Tarantino wurde die Filmmusik cool. Wo Soundtracks davor beliebige Aneinanderreihungen von Liedern oder Stücken waren, die man im Film dazu verwendete, tragische, gruselige oder komische Szenen entsprechend musikalisch zu unterfüttern, wurden sie durch Tarantino zur Kunstform. Seine Soundtracks hörte man rauf und runter, nicht mal die Filme musste man dafür kennen.

Der Soundtrack als Kunstform

Nun ist das Konzept des Soundtracks als Kunstform nicht neu. Hans Zimmer erschafft imposante Klangwelten, John Carpenter hat seine Filme gleich selbst auf kongeniale Weise vertont, David Lynch wusste auch mit Tönen zu verstören und auch ein Jim Jarmusch wusste genau, warum er sich Lautenspieler Jozef van Wissem für Only Lovers Left Alive holte.

Natürlich ist klar, dass der Soundtrack eines Films eine ganz andere Funktion hat als ein reguläres Album. Der Soundtrack ist keineswegs nur eine bloße Verzierung, sondern ein Erzähler, ein Manipulator von Emotionen und ein unverzichtbarer Architekt von Bedeutung. Aber was, wenn die Grenzen verschwimmen und eine Musik sowohl als Narrativ eines Films als auch als unabhängiges Pop-Album funktioniert?

Der Soundtrack zum HIM auf Vinyl:

Bedrohliche Rap-Oper

Beispiele gibt es in der Geschichte einige: Der Soundtrack zu High Fidelity hatte die Aufgabe, die Denkweise des musikverrückten Protagonisten in 15 übersichtlichen Titeln zusammenzufassen. Heraus kam der Traum eines jeden Plattenladenbesitzers – von The Kinks über The Velvet Underground bis zu Stereolab. Oder natürlich Judgment Night, die Mutter des Crossover-Genres, die Sonic Youth mit Cypress Hill und Slayer mit Ice-T zusammenbrachte.

Aber: Das alles waren Compilations, bessere Mixtapes, wenn man so will. Die bemerkenswerte Filmmusik zu HIM geht da andere Wege. Wo schon der Film eine aufwühlende, verstörende Horrorreise in die Welt des Sports ist, präsentiert sich der Soundtrack als brütende, düstere, unterschwellig bedrohliche Rap-Oper. Er vermählt Originalmusik vom BAFTA-gekrönten Bobby Krlic mit Songs von Mobb Deep, Gucci Mane, Guapdad 4000, Mavi, Tierra Whack, Jean Dawson und Denzel Curry.

Neben der Musik nutzte Krlic unkonventionelle Klänge, um diese Intensität zu verstärken: Der Komponist stellte sich den Klang anhand von Bildern vor und sampelte MRT-Geräusche, bevor er die eigentliche Filmmusik für einen Trap-Beat komponierte. Was entsteht, ist Musik mit Sogwirkung und haarsträubender Energie – perfekt, um dem Film eine weitere Ebene zu verleihen, aber auch bestens geeignet für den Genuss über Kopfhörer. Ein 50-köpfiges Orchester und eine Armada an Rap-Größen erschafft so ein Werk zwischen Staunen und Unbehagen, einen Soundtrack als Produzentenalbum, das mit der gleichen Sorgfalt wie ein Studioalbum produziert wurde.

Mehr als nur Filmmusik

„Es gibt eine Denkschule, die sagt, dass Filmmusik unsichtbar sein sollte, aber ich glaube nicht unbedingt daran“, so sagt Bobby Krlic selbst. „Eine großartige Filmmusik sollte wissen, wann sie das Publikum leiten, wann sie es überraschen und wann sie sich selbst ankündigen muss. Wenn der Prozess stimmt, kann sie genauso viel zur Geschichte beitragen wie alles andere auf der Leinwand.“

HIM geht auf seine Weise neue Wege, die zuvor schon von anderen visionären Artists beschritten wurden. Der Soundtrack von TRON: Legacy etwa dürfte so ziemlich das Beste sein, was Daft Punk jemals geschaffen haben. Auch die Musik zu The Social Network aus der Feder von Trent Reznor und Atticus Ross besteht als eigenständiges Album voller dräuender und ätherischer Raffinesse. Unvergessen ist natürlich auch die improvisierte Genialität von Miles Davis, die den französischen Film-Noir Fahrstuhl zum Schafott begleitet und auch abseits davon als eines seiner besten Werke gelten darf.

Ein Soundtrack ist im Idealfall eben viel mehr als der Film, für den er geschrieben oder konzipiert wurde. Er ist ein Kunstwerk für sich, eine Verlängerung der eigentlichen Idee. Und eine faszinierende Spielweise, auf der Künstler:innen Großes erschaffen können.

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