Die erste Hit-Single von Thin Lizzy: „Whiskey In The Jar“

Ob Betrunkene im Irish Pub, Rock-Fans in Lederjacken oder langhaarige Metalheads in weißen Turnschuhen: Den irischen Folk-Song Whiskey In The Jar feiern sie alle gleichermaßen. Mindestens vier berühmte Versionen des Stücks kursieren heute in der Popkultur. Die von Thin Lizzy erscheint am 3. November 1972.

von Timon Menge

Hier könnt ihr euch Shades Of A Blue Orphanage von Thin Lizzy anhören:

Wie es bei Volksliedern oft so ist, kann man heute gar nicht mehr so genau sagen, wie Whiskey In The Jar eigentlich entstanden ist. Laut Folk-Historiker Alan Lomax wurde das Stück im 17. Jahrhundert geschrieben und handelt von den sogenannten „Highwaymen“, wie man damals berittene Straßenräuber nannte. „Die britische Bevölkerung des 17. Jahrhunderts mochte und bewunderte ihre Highwaymen“, gibt Lomax in dem Buch The Folk Songs Of North America zu Protokoll. „In Irland oder Schottland, wo sie englische Grundbesitzer ausraubten, galten sie als Nationalpatrioten. Das waren die Gefühle, die diese ausgelassene Ballade inspirierten.“ Whiskey In The Jar überdauert die Jahrzehnte — bis die irische Band The Dubliners den Song in den Sechzigern in die europäische Popkultur katapultiert.

Für gleich drei ihrer Alben nehmen die Dubliners den Folk-Song in den Sechzigern auf und verschaffen dem traditionellen Stück damit eine Menge Aufmerksamkeit. In den USA sorgt 1962 eine Folk-Gruppe namens The Highwaymen für ein Revival der Nummer. (Nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Country-Supergroup, die 1985 den Dienst aufnimmt.) Doch für den ganz großen Knall sorgen erst Thin Lizzy — und zwar zehn Jahre später. Am 3. November 1972 veröffentlichen die Iren ihre eigene Version des Klassikers, landen damit den ersten Top-Ten-Hit ihrer Karriere und ebnen den Weg für eine jahrzehntelange Erfolgsgeschichte. Dass die Band überhaupt auf den traditionellen Song stößt, ist allerdings reiner Zufall.

Whiskey In The Jar: Ein Zufalls-Hit aus Langeweile

„Eigentlich haben wir immer an unseren eigenen Songs gearbeitet“, erinnert sich der damalige Thin-Lizzy-Gitarrist Eric Bell 2015 in einem Interview mit The A.V. Club. „Aber eines Tages war das nicht möglich. Wir wollten gerade unsere Sachen zusammenpacken, da hat Philip [Lynott] seinen Bass hingelegt, eine sechssaitige Gitarre genommen und angefangen, dummes Zeug zu spielen. Etwa 20 Minuten später stimmte er Whiskey In The Jar an. Ich und [Schlagzeuger] Brian Downey waren zu diesem Zeitpunkt sehr gelangweilt und haben einfach mitgespielt.“ Während Thin Lizzy zusammen herumklimpern, schaut Manager Ted Carroll bei seinen Jungs vorbei — und überredet die Band dazu, den Song neu zu arrangieren und aufzunehmen.

Thin Lizzy können kaum glauben, dass Carroll das wirklich möchte, doch wenige Wochen später steht die Band im Studio und spielt ihre ganz eigene Version des irischen Folk-Klassikers ein. Das gestaltet sich gar nicht so einfach und Bell bezeichnet das Stück später als einen „der schwierigsten Songs, an denen ich in meinem Leben gearbeitet habe, um ein paar originelle Ideen beizusteuern“. Auch hier sorgt der Zufall für die zündende Idee. „Eines Tages hatten wir einen Gig in England gespielt“, berichtet Bell. „Auf dem Heimweg spielte Philipp im Auto verschiedene Kassetten ab.“ Auch die Musik der irischen Gruppe The Chieftains sei dabei gewesen. „Dabei bin ich auf die Idee gekommen, das Intro mit einer irischen Flöte im Hinterkopf anzugehen, nicht aus der Perspektive des Gitarristen.“

Nicht nur für Thin Lizzy ein Erfolg

Mit Whiskey In The Jar landen Thin Lizzy den ersten großen Hit ihrer leider viel zu kurzen Geschichte und legen einen wichtigen Grundstein für spätere Erfolge wie The Boys Are Back In Town, Jailbreak und Dancing In The Moonlight (It’s Caught Me In Its Spotlight).

Außerdem nehmen sie mit ihrer Single Einfluss auf zahlreiche andere Rock-Legenden, wie zum Beispiel Metallica. 1999 veröffentlichen die Metal-Titanen sogar selbst eine Version von Whiskey In The Jar und zollen Thin Lizzy auf diese Weise ihren Tribut.