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Interview: Tom Chaplin von Keane zum neuen Album: „Eine ziemliche Achterbahnfahrt!“

Mit launigem Piano-Britrock spielen sich Keane zu Beginn der Zweitausender in die Ohren der Welt. Songs wie Somewhere Only We Know und Everybody’s Changing landen auf zahlreichen MP3-Playern und Soundtracks jener Zeit, doch ab 2012 herrscht Funkstille. Im Juni meldeten sich die Herren deutlich reifer und ziemlich energiegeladen mit The Way I Feel zurück, das Album Cause and Effect folgt am 20. September. Wir sprachen mit Sänger Tom Chaplin über Inspiration, Freundschaft und die neue Platte.

von Victoria Schaffrath

Hört euch hier einige von Keanes größten Hits an:

Keane haben als Coverband angefangen, die auch viele Songs der Beatles spielte, zurzeit erleben wir eine Wiederkehr der „Beatle-Mania“. Was ist Ihre persönliche Beatles-Story?

Tom Chaplin: „Oh, da habe ich einige! Wir hatten zwar immer unsere eigenen Songs, aber streckten unsere Sets früher mit Covern. Die Beatles lagen da nahe, denn obwohl es absolut brillante Songs sind, kann eine junge Band sie einfach einstudieren und die Akkorde und Gitarrenparts üben. Wir haben also Songs wie Paperback Writer, Ticket To Ride oder Help gespielt und alle haben die Harmonien gesungen. Als Teenager waren wir völlig vernarrt in die Geschichte und Musik der Beatles und sie inspirierten uns wahnsinnig dazu, eine Band zu gründen. Als dann ein wenig Zeit ins Land zog, bekamen wir unseren Plattenvertrag und brachten das erste Album raus. Ich lebte in einem Städtchen namens Rye im Süden Englands, welches zufällig in der Nähe von Paul McCartneys Haus lag.

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Es war am Weihnachtsabend 2004, ich war im Ort unterwegs und kam gerade aus dem Bioladen und lief geradewegs Paul vor die Füße. Er war im Ort kein Unbekannter, daher sagte ich einfach ‚Hi, Paul! Ich spiele in dieser Band namens Keane, wir haben gerade unser erstes Album veröffentlicht.’ Und er sagte in seinem McCartney-Ton ‚Cool, Mann!‘ und ging weiter Richtung Woolworth, wo man damals auch CDs kaufen konnte. Das nächste Mal, das wir ihn sahen, stand er neben der Bühne, als wir 2005 im Hyde Park das Live 8-Konzert spielten. Er sang alle Songs mit und war mit seiner damaligen Frau Heather (Mills, Anm. d. Red.) dort. Es stellte sich heraus, dass unser Album Hopes And Fears eine der Platten war, die ihre Liebesgeschichte begleitet hatten. Das war schon ein merkwürdiger Moment, als einer unserer Helden plötzlich unsere Songs sang.“

Im Film „Yesterday“ vergisst die Menschheit mit Ausnahme eines einzigen Musikers, dass die Beatles je existiert haben. Er gibt dann die Songs der „Fab Four“ als seine eigenen aus. Hatten Sie schon Gelegenheit, den Film zu sehen?

„Hatte ich nicht! Aber wie vermutlich viele Musiker hatte ich durchaus schon diese Fantasie.“ (lacht) „Bei den Songs der Beatles schwingt so eine unbeschwerte Einfachheit mit und man denkt: ‚Es kann nicht so schwer gewesen sein, die zu schreiben‘. Aber dann setzt man sich ans Klavier oder die Gitarre und realisiert: Lieder zu schreiben, die so gut sind, aber eine solche Einfachheit mitbringen, ist wohl das Schwerste überhaupt. Dazu muss man schon ein echtes Genie sein, deswegen haben Paul McCartney, John Lennon und auch George Harrison auch solch einen bleibenden Eindruck auf der Musik dieser Welt hinterlassen. Ich habe schon oft da gesessen, wenn ich einen Song schreiben wollte, und gedacht: ‚Ach, ich wünschte, ich könnte auch ein Hey Jude schreiben‘. Und dann fragt man sich natürlich: Was wäre, wenn es die Beatles nie gegeben hätte?“

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Wo wir bei den Anfängen von Keane sind: Ihr erster Gig fand 1998 im Hope and Anchor in London statt, Sie kamen gerade von einem längeren Auslandsaufenthalt zurück. Wie haben Sie diesen Abend in Erinnerung?

„Ich erinnere mich vermutlich aus den falschen Gründen.“ (lacht) „Stimmt, ich hatte gerade ein halbes Jahr in Südafrika verbracht und als ich in London landete, holte mich Richard (Hughes, Schlagzeug bei Keane, Anm. d. Red.) ab und sagte nur: ‚Wir haben ziemlich hart gearbeitet, während du weg warst. In drei Tagen haben wir einen Auftritt.’ Ich dachte mir: Verdammt, das ist bald! Wenn man so jung ist, ist der Gedanke daran, auf der Bühne zu stehen und die eigenen Songs zu spielen, schon etwas angsteinflössend. Man fürchtet sich vor dem Unbekannten. Aber wir wussten auch, dass wir diese erste Show irgendwie hinter uns bringen mussten, wenn wir uns als Band weiterentwickeln wollten. Wir waren echt nervös, denn das Hope and Anchor ist eine kleine, aber wichtige Spielstätte, in der sich schon viele Bands ihre Sporen verdient haben; U2 hatten schon auf dieser Bühne gestanden und waren zu dem Zeitpunkt unsere Idole.

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Wir wollten also unbedingt eine gute Performance abliefern, aber alle machten sich ziemlich Sorgen, ob ich die Texte alle behalten würde. Damals war ich etwas faul, was das Auswendiglernen angeht …“ (lacht) „Diesbezüglich lief der Gig eigentlich ganz gut, aber sonst gab es natürlich hier und da Unstimmigkeiten. Ich weiß noch, dass Tim (Rice-Oxley, Klavier und Bass bei Keane, Anm. d. Red.) den ersten Song in der falschen Tonart anstimmte. Dominik, der damals bei uns noch Gitarre spielte, vergaß sämtliche Songs, die er geschrieben hatte. Aber auch, wenn nur ein paar unserer Freunde und etwas Laufkundschaft da war, waren wir mit den Nerven völlig runter. Einer der wenigen Freunde, die tatsächlich Wort hielten und vorbeikamen, war Chris Martin von Coldplay. Wir waren mit Coldplay befreundet, da Tim damals mit Chris zur Uni ging. Das war natürlich, bevor sie ihren Plattenvertrag bekamen. Er saß also mitten im Publikumsraum auf einer Bierkiste, lächelte und war sein übliches, positives Ich. Er fand die Show wohl gut. Und auch wir waren letztlich natürlich glücklich darüber, diese Hürde überwunden zu haben. Ab da konnten wir nur dazulernen und uns als Band verbessern.“

Sie haben seit dem letzten Album mit Keane zwei Soloplatten aufgenommen. Auf Ihrem Weihnachtsalbum befinden sich vier Cover und Keane spielten anfangs viele Stücke anderer Künstler. Inwieweit werden Sie durch andere Künstler inspiriert?

„Das geschieht auf viele verschiedene Arten, manchmal ist es sehr subtil. Beim neuen Album Cause and Effect ist das ständig passiert, gerade in der Produktionsphase. Da sahen wir uns häufig an und merkten ‚Ja, das klingt nach Joy Division!‘ Das Pianoriff im Song Strange Room klingt beinahe etwas nach Mozart oder Brahms, es hat eine klassische Note. Solche Feinheiten schleichen sich einfach ein und es ist ein unterbewusster Prozess. Manchmal passiert es jedoch auch, dass man einen Song schreibt oder produziert und schon vorher eine Ahnung hat, was ihn inspirieren wird. Für das Weihnachtsalbum habe ich beispielsweise versucht, einen Song zu schreiben, der nach The Blue Nile klingt, denn sie sind eine meiner Lieblingsbands. Das beeinflusste dann den Schreibprozess, aber im Studio kam dabei etwas ganz anderes heraus. Bei The Way I Feel haben viele Leute zum Beispiel einen Einfluss von The Killers rausgehört. Manchmal nimmt man sich das also vor und manchmal passiert es einfach.“

 
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Had a brilliant time in The Netherlands tonight at @hellofestivalnl. Thanks to everyone who came out - it felt great to be back!

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Sie gehen sehr offen mit Ihrer Abstinenz um, in der Zeit ohne Keane haben Sie den Entzug geschafft. Sie haben erwähnt, dass es Ihre Stimme und die Art, wie Sie singen, verändert hat. War das etwas, woran Sie gearbeitet haben, oder einfach ein schöner Nebeneffekt?

„Das hat wohl in zweierlei Hinsicht Einfluss genommen. Die Erfahrungen, die man in einer wirklich schlechten Phase macht, die Trauer, der Herzschmerz und alles, was einem da so passiert – das gibt der Stimme eine bestimmte Farbe. Jeder Song, den man danach singt, wird von diesen Erfahrungen beeinflusst. Die Stimme bleibt schon irgendwie eine magische Sache, denn es ist mehr, als nur ein Geräusch zu erzeugen. Du beschwörst damit auch die Seele der Person. Meine ganzen Erfahrungen haben definitiv meine Art zu singen und auch die Emotionen, die ich in meine Stimme legen kann, geändert. Andererseits gibt es natürlich Gebrauchsspuren …“ (lacht) „Mein Lebensstil hat meine Stimme belastet und sie vielleicht eine Spur rauer gemacht. Gerade erlebe ich wohl den längsten Lebensabschnitt, seit ich Kind war, in dem ich keinen Alkohol und keine Drogen zu mir nehme. Ich behandle also meine Stimme endlich mit dem Respekt, den sie auch verdient. Sie belohnt mich dafür, mein Register ist größer geworden. Sicher bei den tiefen Tönen, aber auch in den Höhen. Ich höre das, wenn ich jetzt ältere Keane-Aufnahmen auflege. Beispielsweise habe ich während Strangelands 2012 definitiv eine schwierige Zeit durchlebt. Ich höre, dass ich da nicht so gut singe, wie ich eigentlich könnte. Auf Cause and Effect findet sich wohl der beste Gesang, den ich mit Keane bisher gebracht habe. Das liegt zu einem nicht geringen Anteil an der Abstinenz.“

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Keane haben eine siebenjährige Pause eingelegt und noch vor kurzem sagten Sie, dass Sie eigentlich keine neue Musik planen. Was ist passiert?

„Das ging alles sehr schnell! Eine Keane-Platte war so gar nicht auf meinem Radar. Ich war durch meine Solo-Karriere eigentlich sehr zufrieden und erfüllt. Aber gerade meine Freundschaft mit Tim hatte ziemlich gelitten und ich sah ihn eine ganze Weile nicht. Zunächst gab es da also den Wunsch, ihn wiederzusehen und zu schauen, wie er so klarkommt. Ich wusste, dass sein Leben ein wenig aus den Fugen geraten war, und rief ihn dann vorletztes Weihnachten an, um ihn zum Quatschen einzuladen. Natürlich sprachen wir dann irgendwann über Musik, er erzählte mir von einigen Songs, die er geschrieben hatte, und ich bat ihn, sie mir zu schicken. Nach meinem Weihnachtsalbum war ich ich nicht gerade von der größten kreativen Energie erfüllt. Ich hört dann aber Tims Songs und mir wurde mir klar, wo sich diese Energie versteckte. Als wir dann alle zusammen saßen und realisierten, dass das vermutlich eine gute Idee sei, ging der Rest sehr schnell. Innerhalb von 18 Monaten wurde also ‚Wir machen kein Keane-Album mehr‘ zu Cause and Effect; nun sitzen wir hier und sprechen darüber. Eine ziemliche Achterbahnfahrt.“

Die Band hat The Way I Feel als erste Single ausgewählt. Wie kam es dazu und was können wir vom restlichen Album erwarten?

„Wenn man eine Single auswählt, nachdem es eine ganze Zeit ruhig war, dann sollte sie irgendwie einschlagen. Da hilft es natürlich, wenn der Song ein wenig Geschwindigkeit mitbringt. Aber es ist auch die Nachricht des Songs: Für mich beinhaltet er eine Reihe Fragen, ohne sie wirklich zu beantworten. Er setzt sich damit auseinander, warum sich viele von uns so verloren fühlen, wenn wir doch solch tolle Möglichkeiten und liebende Freunde und Familie um uns haben. Warum sabotieren wir unser Leben und verunsichern uns selbst? Es geht um die seelische Verfassung und darum, warum in dieser modernen Welt so viele Menschen traurig sind und keinen Ausweg sehen. Das Lied hat also eine wirkliche Aussage in Bezug auf diese Zeit und reiht sich gut in die Handlung des Albums ein. Die Songs, die Tim für das Album geschrieben hat, drehen sich um das Ende seiner Ehe, seine Rolle darin und wie es sein Leben als Ganzes beeinflusst hat, dass er seine Kinder nicht mehr so oft sieht und ganz alleine im Haus sitzt. Diese Trennung hat sein Leben massiv verändert und The Way I Feel erzählt einen Teil dieser Geschichte.“

Dann ist Cause and Effect ja ein passender Titel. Haben Sie eine Lieblingszeile auf dem Album?

„Ich mag Strange Room besonders gern, er war auch einer der Auslöser für den Wunsch, das neue Album zu machen. Es ist ein wahnsinnig trauriger Song darüber, wie du aufwachst und realisierst, dass sich dein ganzes Leben verändert hat. Alles, wovon du dachtest, es sei sicher, ist nicht mehr da. Im zweiten Vers schreibt Tim darüber, wie er dabei erwischt wurde, betrunken Auto zu fahren. Genau als er dachte, es geht nicht schlimmer, ist das passiert. Er schreibt darüber aber mit einer Art Galgenhumor, deswegen gefällt mir diese Stelle besonders gut. In Love Too Much gibt es außerdem eine Zeile, in der es heißt ‚When you’re falling down is when you feel most alive‘ (‚Während man fällt, fühlt man sich besonders lebendig‘, Anm. d. Red.), das hat mich wirklich angesprochen. Ich denke, wir fühlen uns den Menschen um uns besonders nahe, wenn es mal nicht so gut läuft, wenn man sich auf Freunde und Familie verlassen muss, damit sie einem helfen. Glück und Freude sind klasse, aber sie sind für mich sehr flüchtige und selbstbezogene Emotionen. Bei Schmerz und Trauer rücken wir Menschen näher zusammen und haben tiefergehende Erfahrungen, daher finde ich diese Zeile sehr aussagekräftig. Und es macht auch klar, warum wir wieder zueinander gefunden und diese Platte gemacht haben: Wir wollten es Tim als langjährige Freunde ermöglichen, diese Gefühle und Songs zu verarbeiten.“

Ursache und Wirkung: Das Cover zum neuen Album „Cause and Effect“.

Apropos „zusammenrücken“: Sie haben diesen Sommer schon viele Live-Shows gespielt, zum Beispiel BST Hydepark und ein Clubkonzert im Berliner Lido. Es fällt auf, wie viel Spaß Sie dabei haben, ob mit den alten oder neuen Songs. Fühlt sich das wie eine Heimkehr an oder mussten Sie sich das durch Proben erst wieder erarbeiten?

„Es war schon ein gutes Stück Arbeit, sich wieder mit den alten Songs vertraut zu machen. Ich habe zwar ein paar davon auf meinen Solo-Touren gesungen, aber im Grunde hatten wir diese Songs eine ganze Weile überhaupt nicht gespielt. Wir mussten uns also zunächst erinnern und die einzelnen Parts wieder geradebiegen. Aber auch die Technik hat sich ja weiterentwickelt, deswegen gab es eine Generalüberholung für unser Setup. All das war ein großer Batzen Arbeit, also probten wir natürlich viel. Das regte uns aber tatsächlich eher an, denn wenn man alte Songs eine Weile nicht mehr spielt, bekommen sie ihre Frische wieder. Sie wirken plötzlich belebend, davon hatten wir vor sieben Jahren etwas verloren. Damals fühlte es sich an wie ein Job und war eher ermüdend. Bei den Proben zu Cause and Effect zeigte sich also eine ganz neue Energie und Lust, die Songs zu bringen. Eine Menge Leute haben diese Songs ewig nicht gehört und dachten vielleicht auch, dass sie nie wieder die Chance dazu bekommen. Da geht es ihnen also wie uns; wir sind alle gespannt, unsere Songs neu zu entdecken. Wenn man dann das neue Album hinzufügt, hat man einen ziemlich magischen Cocktail.“ (lacht) „Ich glaube, man sieht es an der Reaktion der Fans und auch daran, wie die Shows nach außen hin wirken. Für mich sind die Konzerte bisher jedenfalls das Beste daran, wieder zurück zu sein.“

Während der Aufnahmen zu Perfect Symmetry haben Sie einige Zeit in Berlin verbracht, dieses Jahr haben Keane dort bereits ein Konzert gegeben. Ihr Terminkalender sieht dieses Jahr jedoch recht voll aus, gibt es Pläne, auch wieder nach Deutschland zu kommen?

„Ja, es gibt diese Pläne! Wir haben noch nichts verkündet. Allein wegen der Tatsache, dass die Nachfrage für diese kleine Show in Berlin so hoch war; die Karten waren innerhalb von Minuten ausverkauft, glaube ich! Wenn wir wiederkommen, können wir dann hoffentlich eine größere Show spielen und mehr Leute beglücken.“