Interview mit Camouflage: „Früher fand ich es tragisch, dass man uns auf zwei Songs reduziert hat“
popkultur21.06.24
Camouflage konnten sich schon früh von ihrer Rolle als deutsche Depeche Mode freischwimmen. Längst ist die süddeutsche Synthie-Pop-Band eine Institution für sich – und feiert neben 40 Jahren Bandgeschichte auch die Online-Videopremiere ihres ewigen Klassikers Love Is A Shield.
von Björn Springorum
Vor 40 Jahren gründet sich im schwäbischen Bietigheim bei Stuttgart eine Band, die die deutsche Synth-Pop-Welt wie wenige andere prägen wird: Schon mit ihrer ersten Single The Great Commandment feiert das Trio aus Heiko Maile, Marcus Meyn und Oliver Kreyssig gewaltige Erfolge – sogar in den USA. 2024 feiert die Band ihr 40-jähriges Bestehen. Und hat einiges vor: Den Anfang macht der aufwändig restaurierte Clip zum legendären Love Is A Shield, den man in der Qualität noch nicht gesehen hat. Ein Gespräch mit Heiko Maile über erste Schritte und neueste Entwicklungen.
Heiko, 40 Jahre ist ja schon eine Ansage. Ist das für dich nur eine Zahl oder verknüpfst du was konkret damit? Was bedeutet dir dieses Jubiläum von Camouflage?
Ich denke nicht oft drüber nach. Aber wenn, dann ist diese Zahl natürlich schon ein ganz schöner Hammer. Wir freuen uns riesig, dass wir dieses Alter erreicht haben. Ich meine, das ist schon eine Ansage, allein wenn man mal bedenkt, was seit 1984 alles passiert ist. Ich erinnere mich noch an meine Zeit in Hamburg, als die Hamburger Schule damals aufkam und ich bereits ein gutes Stück älter war als die Protagonisten. (lacht) Umso verrückter wird das, wenn man bedenkt, dass ich mir am Anfang drei Jahre für meine Musik gegeben habe.
Sind dann ja doch ein paar mehr geworden. Aber was war eigentlich die Initialzündung? Wo kamst du erstmals in Kontakt mit all den englischen Wave-Bands, die dich inspirierten?
Eigentlich komme ich aus der Rock-Ecke, habe damals viel AC/DC gehört. Dann tauchte aber plötzlich ein Gary Numan auf, der so ganz anders war. Rockig, aber doch elektronisch. Damals fingen wir an, wegzugehen, und wenn man in Bietigheim wohnte, dann ging man nach Stuttgart, ins Odeon oder so [heute der Metal-Club Schwarzer Keiler – d. Verf.]. Ich habe mir immer die Schallplatten gekauft, die die angesagten DJs in Stuttgart aufgelegt haben. Die wirkliche Initialzündung, die war für mich aber Ultravox. Und von dort gab es kein Zurück.
Wie war es früher in den Clubs?
Ganz anders als heute. Es gab ja keine richtige Szene, da waren einfach ein paar Leute, die andere Musik gehört haben. Wave, Punk, Metal, Ska, da gab es noch keine wirklichen Unterschiede. In den Clubs kamen dann immer alle zusammen und haben gewartet, dass jetzt mal ein paar von ihren Songs kommen. Aber das war cool, dadurch hat sich mein musikalischer Horizont stark erweitert.
Warst du 1986 eigentlich bei Depeche Mode in der Stuttgarter Schleyer-Halle?
Ich war sogar 1982 im Oz. (lacht) Ich war eigentlich bei jedem Konzert, das sie in der Region gespielt haben.
Irgendwann dann eben auch selbst als erfolgreicher Musiker. Schon eure Debütsingle The Great Commandment war ein riesiger Erfolg, sogar in den USA. Was hat das mit euch gemacht?
Das war groß. Und unglaublich aufregend. Und ging so schnell. Ich bin froh, dass wir das zu dritt erlebt haben, denn wenn man da allein durchgemusst hätte, wäre das sicherlich eine andere Nummer gewesen. Wir konnten aber gut Balance halten. Frag mich nicht, woher diese Sicherheit kam, aber wir wussten damals schon sehr genau, was wir wollten. Wir hatten eine klare künstlerische Vision. Die sah zum Beispiel auch nicht vor, dass wir mit unseren Gesichtern auf unseren Platten erscheinen. Unser Label wollte das zwar, aber auf allen unseren Lieblingsplatten war das nicht so. (lacht) Für Markus war es aber wahrscheinlich am schwierigsten, weil er noch in der Schule war. Tagsüber Schulbank drücken und abends eine Fernsehshow, das war schon was.
Früher hat man ja mit Musik noch Geld verdient. Wurde das gleich wieder investiert bei euch oder habt ihr euch auch etwas gegönnt?
Wir haben es überwiegend in neues Equipment investiert. Schon damals zahlten wir das Geld ein und überwiesen uns sozusagen ein monatliches Gehalt. So konnten wir uns voll und ganz auf Camouflage konzentrieren und mussten uns keine Gedanken machen, wie wir jetzt Geld verdienen sollen. Oh, und Markus hat sich ein VW Käfer Cabrio gekauft und ist damit gleich mal nach Portugal gefahren.
Auf dem nächsten Album ging es dann gleich weiter mit Love Is A Shield, ein Ohrwurm, ein Klassiker, der dieses Jahr 35 Jahre alt wird. Weiß man eigentlich schon im Studio, dass man einen Hit geschrieben hat?
Als Künstler strengt man sich für jeden Song gleich an. Aber manche entwickeln ein Eigenleben. Gewisse Lieder werden von den Menschen angenommen und getragen. Wie lang und warum, weiß niemand. Mittlerweile kann ich mich auch darüber freuen. Früher fand ich es immer tragisch, dass uns die Menschen auf diese zwei Songs reduziert haben. Heute sind wir als Band sehr froh, dass wir solche Songs haben.
Wie ist der Song entstanden?
Eigentlich hatte ich den Song für jemand anderen geschrieben, aber daraus wurde nichts. Also haben wir ihn verwendet. Den Titel habe ich aus irgendeinem Schwarzweißfilm, den wir mal auf Tour gesehen haben, und die Idee mit der Oboe, die kam uns, weil wir Lust hatten, experimenteller zu werden. Wir waren alle entspannt und wollten viel ausprobieren. Also haben wir es uns gegönnt, mehr auszuprobieren, experimenteller zu arbeiten. Love Is A Shield ist daher kein besonders guter Vorbote für unser zweites Album, aber er war stark genug, um die anderen Songs mitzutragen.
… und wird nach 35 Jahren immer noch gehört.
Ich war ja sicher, dass das irgendwann vorbei sein würde, dass irgendwann niemand mehr diesen Song hören würde. Aber dazu kam es bislang noch nicht.
Und warum überhaupt die Oboe?
Weil sie ein tolles Instrument ist und einfach passte. Damals hatten plötzlich alle Synthesizer und verwendeten sie auch maßlos, da klang vieles ähnlich. Heute sind klassische Instrumente ja nichts Besonderes mehr, aber damals wollten wir anders klingen, wollten zu neuen Ufern aufbrechen.
Jetzt erscheint erstmals auch das offizielle, aufwändig restaurierte Video dazu. Wie kam’s denn dazu?
Das Video lief damals natürlich im Fernsehen, wurde aber auf 35mm gedreht. Das war Kinostandard, aber natürlich nicht digital. Wir haben uns aber immer gewünscht, dass der Clip noch mal in guter Qualität realisiert wird. Wir wussten, dass es die Filmrollen noch gibt, also haben wir unserer alten Regisseur Rainer Thieding kontaktiert, der damals unsere Videos dreht hat, und sind gemeinsam mit Chopstick Films aus Hamburg die Restaurierung angegangen. Und das war eine Menge Arbeit: Wir haben den Film ausrollen und waschen lassen, neu digitalisiert und wieder zusammengesetzt. Dann haben wir die Musik als Remaster neu angelegt. Das Ergebnis ist umwerfend. So hat man Love Is A Shield noch nie gesehen. Das ist als würdest du deinen Lieblingsfilm nur auf VHS kennen und siehst ihn plötzlich aus einer Blu-ray in 4K.
Ganz schön viel Aufwand für einen Clip, oder?
Wie gesagt: Wir hätten das Video immer schon gern in dieser Qualität gehabt. Und wollten uns einfach nicht länger damit abfinden, dass es das nicht gibt.
Ihr habt damals ja am Strand von Sankt Peter-Ording gedreht. Wie erinnerst du dich an die Dreharbeiten?
Die Storyboards haben wir uns per Fax hin- und hergeschickt. (lacht) Beim Dreh am Strand war es dann extrem kalt. Das war für die Protagonisten schwierig, aber immerhin war der Strand menschenleer.
Wie bewertest du dein Vermächtnis mit Camouflage?
Es macht mich glücklich, wenn uns Leute erzählen, dass unsere Musik wichtig war oder ist für sie. Am Ende sind aber auch wir einfach nur eine Band, die versucht hat, das Bestmögliche zu tun. Als wir bei Night Of The Proms gespielt haben und die ganze Halle schon bei der Anfangsmelodie von Love Is A Shield mitgesungen hat, hat uns das noch mal auf ganz krasse Weise deutlich gemacht, welchen Stellenwert Lieder wie dieses bei den Menschen da draußen haben.
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